Neue EU-Verordnung Will Brüssel die Gemüsezucht in Gärten verbieten?

Was Saatgut angeht, herrscht bei den EU-Richtlinien Kraut und Rüben. Nun soll eine Neuregelung her - und die sorgt jetzt schon für Verwirrung.

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Vor allem im Netz sorgt derzeit ein Papier der EU-Kommission für Aufregung, nach dem die Regeln für den Saatgutverkehr überarbeitet werden sollen. In den Medien heißt es teilweise, diese Neuregelung sei eine Gefahr für althergebrachtes Saatgut und solches von Kleingartenzüchtern, das dann nicht mal mehr verschenkt werden dürfe. Sprich, Schrebergärtner könnten von ihrem Nachbarn keine Tomatensamen mehr annehmen.

Das ist nach Informationen aus dem ständigen Saatgutausschuss der EU falsch. Auch die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland hat dazu bereits eine Klarstellung herausgegeben.

Und das steckt dahinter: In der Tat beschäftigt sich die EU-Kommission derzeit mit einer Neuregelung des Saatgutverkehrs. Das im Netz diskutierte Papier stammt allerdings noch aus dem Mai 2011. Am 6. Mai soll laut der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland der offizielle Entwurf zur Neuregelung veröffentlicht werden. Dieser befasse sich allein mit den Hochleistungssorten, mit denen Landwirte und Gartenbaubetriebe arbeiten. Dagegen seien seltene und alte Sorten ausdrücklich davon ausgenommen, weil sie zu den so genannten Erhaltungssorten oder Amateursorten gehören.

Grundsätzlich gilt: Jede Saat, die in den Handel kommt, muss aus Transparenzgründen zertifiziert sein. Sonst gilt das Geschäft als illegal. Trotzdem gibt es Kreise von Züchtern und Vermarktern gerade von alten Sorten, die sich gegen eine Zertifizierung streuben und deshalb einen ungeregelten Markt geschaffen haben.

Kraut und Rüben bei VerordnungenUm dieser Situation Herr zu werden, hat die EU vor rund drei Jahren Richtlinien geschaffen, wie auch alte und seltene Sorten legal vertrieben werden können. Beim Bundessortenamt in Hannover gibt es heute eine Stelle, die sich um die Anerkennung kümmert. Anders als bei Industriesorten gibt es dabei weniger Auflagen zu erfüllen.

Die Frage bleibt also: Was steckt also tatsächlich hinter der EU-Neuregelung?

Dazu ein kleiner Rückblick: Derzeit gelten Regeln zur Registrierung und Zertifizierung, die noch aus dem Jahr 1966 stammen, als die damaligen sechs Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft einen gemeinsamen Markt geschaffen haben. Damals sind zwölf Richtlinien entstanden, welches Saatgut in den Verkehr darf. Die Probleme dieser alten Regeln: Es handelt sich um Richtlinien, das heißt, die Staaten haben momentan viel Spielraum, wie sie diese interpretieren und umsetzen. Die neuen Regeln sollen dagegen als verbindliche Verordnung in Kraft treten, was den nationalen Spielraum deutlich einschränken würde.

Zudem sind seit 1966 viele Mitglieder zu der Gemeinschaft hinzugestoßen. Damit der Markt weiterhin funktioniert, braucht es Regeln, die alle Bedürfnisse berücksichtigen. Das Papier (Option and analysis paper) stammt von der Generaldirektion für Gesundheits- und Verbraucherschutz der EU, DG SANCO. Ziel soll sein, die Kontrolle für Saatgut der Hochleistungssorten für alle Staaten zu vereinheitlichen, dabei zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen – und damit natürlich auch EU-Gelder einzusparen. Das ist jedenfalls der Plan.

Unternehmen sollen mehr Aufgaben bekommenFür die Praxis zeichnen sich aber schon jetzt Hürden ab. Bislang sind in jedem Land einzelne Behörden damit beauftragt, Züchter und Vermarkter zu überwachen. Zum Beispiel sind staatlich Beauftragte auf dem Feld von Landwirten im Einsatz, um den Anbau zu kontrollieren. Diese und ähnliche Aufgabe will die EU zukünftig den Firmen selbst überlassen.

Die Unternehmer sollen sich praktisch selbst kontrollieren und die Ergebnisse an die zuständige Stelle in ihrem Bundesland melden. Die wäre dann nur dafür zuständig zu überwachen, ob die Prüfungen rechtmäßig abgelaufen sind. An dieser Regel reiben sich vor allem mittlere und kleinere Betriebe. Denn die Selbstkontrolle würde vermutlich immense Gelder verschlingen. Für Konzerne ist das weniger ein Problem, sie betreiben in der Regel schon heute eigene Labore zur Saatzucht, um ihre Erzeugnisse zu prüfen und verfügen über die nötigen Experten dazu.

Verordnung könnte für mehr Bürokratie sorgenDie EU will sich nach dem derzeitigen Entwurf darum kümmern, dass kleinere Unternehmen trotzdem nicht vom Markt verschwinden. Die Idee ist, dass sich der Staat um die Zertifizierung kümmern muss, wenn eine Firma dazu wirtschaftlich nicht im Stande ist, sagt Herbert Kupfer, Beauftragter des Bundesrates im ständigen Saatgutausschuss der EU. Die Schwierigkeit hier könnte allerdings sein, dass auch der Staat respektive die Bundesländer nicht über genügend Geld verfügen.

Auch auf die EU könnten mit der Neuregelung immense Kosten zukommen, glaubt Kupfer. Weil die Verordnung für noch mehr Bürokratie sorgen könnte. Beispiel Deutschland: Zunächst wäre zukünftig jedes Bundesland verpflichtet, einen Bericht über die Arbeit all ihrer betroffenen Unternehmen zu schreiben. Diese Berichte müssten dann zu einem Gesamtpapier zusammengefasst und nach Brüssel geschickt werden.

Dort sei eine Kontrolleinheit wiederum dafür zuständig, die Berichte zu überprüfen und ihrerseits darüber einen Bericht zu schreiben, der dann im Internet veröffentlicht wird. Bis das alles Realität ist, wird aber noch einige Zeit ins Land gehen. Laut Kupfer ist für den 29. Mai eine Sitzung des ständigen Saatgutausschusses geplant, der dann über den neuen Entwurf der EU-Kommission beraten will.

Der Beauftragte geht davon aus, dass der finale Entwurf erst in zwei, drei Jahren auf dem Tisch liegt. Manche Experten rechnen dagegen schon diesen Herbst damit. In Kraft treten könnte die Verordnung dann zwischen 2016 und 2018. Anderen Experten zufolge könnte es auch erst nach 2020 soweit sein.

Wie es auch kommt, auch beim Thema Saatgut scheint es wie so oft Brüssel: Statt Dinge wirklich zu verbessern, werden die Dinge nur noch komplizierter.

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