Das beste Elektroauto der Welt? Der Tesla S im Langstrecken-Test

Unser Gastautor Christian Sauer war mit dem Elektroauto Tesla Model S unterwegs - und erlebte eine Odyssee.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Christian Sauer arbeitet für griin.de, das Blog zur nachhaltigen Mobilität und schreibt regelmäßig für WiWo Green. Jetzt testete er den Tesla Model S auf einer Fahrt von Wiesbaden in den Harz.

In den USA ist der Tesla Model S schon länger ein Verkaufshit. Nun könnte das Auto auch der Elektromobilität hierzulande zum Durchbruch verhelfen, glauben viele, denn seit August 2013 wird das Model S auch in Deutschland angeboten. Allerdings wurde die Markteinführung in Europa von Unfällen in den USA überschattet, bei denen zwei Teslas in Brand gerieten.

Wir ließen uns nicht von den Negativschlagzeilen abschrecken - nach Monaten des Wartens fruchteten zahlreiche Telefonate mit Tesla und wir konnten den Wagen testen. Unser Vorhaben war (eigentlich) nichts Ungewöhnliches – ein Wochenendtrip von Wiesbaden aus mit drei Personen nach Wernigerode im Harz. Die rund 365 km pro Strecke sollten mit der stärksten Version des Model S, P85 genannt, eigentlich kein Problem sein, dachten wir uns.

Schließlich ermöglichen die 85 Kilowattstunden Batteriekapazität laut der Tesla-Website eine geprüfte Reichweite von 502 km. Dass dies der Beginn einer ermüdenden und nervenaufreibenden Irrfahrt werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorherzusehen.

Beim Start zeigt das Display 450 Kilometer ReichweiteLos geht es bei Temperaturen um die fünf Grad Celsius in Frankfurt, nach München Teslas zweitem Standort in Deutschland. Neben dem kleinen Showroom in der Innenstadt wurde vor wenigen Wochen ein überraschend großer Service-Stützpunkt am östlichen Stadtrand, in direkter Nachbarschaft zahlreicher anderer Automobil-Hersteller eröffnet.

Beim Einsteigen zeigt das Display rund 450 km Reichweite für den Fahrer an. Die volle Ladung empfiehlt Tesla wegen des stärkeren Energieverlusts nur vor längeren Reisen. Genau so eine Reise haben wir aber vor. Deshalb fragen wir vorsichtshalber den Tesla-Experten, der bei unserer Distanz mit hohem Autobahn-Anteil aber keine Probleme sieht.

Es folgt ein letzter Check, ob wir alle Ladekabel und Adapter mit an Bord haben: Typ 2 (Mennekes) für die meisten öffentlichen Ladesäulen plus ein weiteres Kabel mit Schuko-Stecker für Haushaltssteckdosen und ein roter Adapter für Stark- und Drehstrom.

Auf trockener Straße beschleunigt das Model S in nur 4,4 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Auf den ersten Metern hängt er damit nahezu jeden Sportwagen ab. Allerdings stößt der Stromer bei Tempo 210, wo andere vergleichbar starke Autos mit Verbrennungsmotoren weiter beschleunigen, an seine Grenzen. Schneller aber braucht und kann man meist gar nicht fahren. Außerdem steigt der Verbrauch in diesen Sphären wie bei konventionellen Motoren überdurchschnittlich stark an.

Bevor es morgen von Wiesbaden aus „auf große Tour“ geht, laden wir nocheinmal die Batterien. Gut, dass sie nicht komplett leer sind und wir die Nacht dafür Zeit haben, schließlich dauert ein vollständiger Ladevorgang an einer normalen Steckdose rund 25 Stunden!

Der nächste Tag: Rund 430 Kilometer sollen mit den geladenen Batterien nun möglich sein, und vorsichtshalber trimmen wir alles auf maximale Reichweite: Display dimmen, Eco-Modus der Klimaanlage anschalten und bloß keine Sitzheizung verwenden. Um ganz sicher zu gehen, recherchieren wir im Internet nach Lademöglichkeiten entlang der Strecke.

Dumm gelaufen, dass zum einen die Internetverbindung des Autos ausgefallen ist und zum anderen nur bereits angefahrene „Tankstellen“ angezeigt werden.

Nächster Stopp: Kassel, noch 30 Kilometer ReichweiteIn Online-Portalen finden wir aber ein Restaurant in Kassel, nicht weit von der Autobahn gelegen. Dort soll es einen speziellen Anschluss für den Tesla Roadster geben – der zu unserer Überraschung leider nicht kompatibel mit dem Model S ist – und Starkstrom mit rotem Stecker. Kostenlos soll die Stromladung auch noch sein und öffentlich zugänglich bis 2 Uhr in der Nacht.

„Perfekt“, denken wir und fahren gegen 18 Uhr in Wiesbaden los. Zwar schmilzt unsere Restreichweite während der Fahrt schneller als die noch verbleibende Wegstrecke, aber dennoch hoffen wir auf eine Nonstop-Fahrt bis in den Harz ohne Zwischenladung.

Möglichst effizient steigern wir lediglich zum Überholen das Tempo kurz auf 140, 150 km/h, aber lassen uns dann sofort wieder auf 120 bis 130 zurückfallen. Dennoch wird schnell klar, dass wir das Ziel so nicht erreichen werden – das zeigt ein Blick auf die digitalen Anzeigen. Dort wird in einer Art „Fieberkurve“ per Diagramm der Verbrauch dargestellt.

Die untere Linie, „Rated Range“ genannt und als Restreichweite auch im Fahrerdisplay angezeigt, gibt einen deutlich optimistischeren Ausblick als die nächste Linie, die „Average Range“. Um die Verwirrung zu komplettieren, gesellt sich noch eine Hochrechnung anhand des momentanen Verbrauchs hinzu. Gut, wenn man einen Beifahrer an seiner Seite hat, der die Analyse übernehmen kann und den Piloten einbremst.

Trotzdem werden die Ausschläge auf dem Display immer heftiger, denn die bergige Topografie der A7 vor Kassel treibt den Verbrauch trotz Rekuperation in die Höhe. Umso erleichterter erreichen wir gegen 21:30 Uhr mit rund 30 Kilometern Restreichweite das ersehnte Zwischenziel.

Auf dem Parkplatz des Restaurants angekommen, parken leider zwei Benziner vor der abgeschlossenen Ladesäule. Den Schlüssel gibt es am Tresen, und dank der Höhenverstellung des Luftfahrwerks sollte sich der Tesla auch auf die Wiese daneben bugsieren lassen. Doch soweit kommt es gar nicht, da unser roter Adapter nicht in den Starkstromanschluss passt. Wie sich später herausstellen sollte, ist die 16-Ampere-Version des Model-S-Steckers kleiner als die mit 32 Ampere, für die Tesla aber keinen Adapter bereitgestellt hat.

Vielleicht bringt uns ein Anruf beim Tesla-Pannenservice weiter. Wir wählen die kostenlose Nummer und können zu unserer Verwunderung nur auf einen Anrufbeantworter sprechen. Immerhin lässt sich die Wichtigkeit unseres Anrufs als dringend einstufen – dann sollte es mit dem Rückruf nicht lange dauern. In der Zwischenzeit versuchen wir es bei den örtlichen Stadtwerken, und der freundliche Mitarbeiter macht uns Hoffnung: „In der Innenstadt gibt es mehrere Ladesäulen mit beiden Anschlüssen.“

Notruf bei den StadtwerkenZehn Minuten später stehen wir vor einer der Ladesäulen im Zentrum, auf einem speziell für Elektrofahrzeuge reservierten Parkplatz - tatsächlich gibt es jetzt den richtigen Anschluss. Das Problem ist nur, dass die Säule eine Kundenkarte verlangt, die wir natürlich nicht haben. „Unser Mann“ bei den Stadtwerken kann uns hier auch nicht weiterhelfen. Erst als wir ihm nachdrücklich unsere prekäre Situation schildern, lädt er uns ausnahmsweise auf eine Ladung zum Betriebshof der Stadtwerke ein.

Das riesige, mit Stacheldraht und Kameras gesicherte Gelände liegt außerhalb der Innenstadt. Dort angekommen, parken wir unseren Testwagen neben dem firmeneigenen Elektro-Fahrzeug und sind einfach nur glücklich, endlich laden zu können. In drei bis vier Stunden sollten wir genug Strom getankt haben, um die letzten 155 Kilometer bis nach Wernigerode zu schaffen.

Fragen über FragenDoch was machen wir in der Zwischenzeit? Im Auto zu dösen, ist bei den niedrigen Temperaturen keine gute Idee. Also gehen wir zu Fuß zurück in die City. Tatsächlich finden wir noch einen Imbiss, bei dem um 23 Uhr noch reges Treiben herrscht und wo wir uns aufwärmen können.

Hier bleibt genug Zeit für Fragen: Was hätte jetzt wohl ein Tesla-Käufer gemacht, der für ein vergleichbar ausgestattetes Model S rund 100.000 Euro ausgibt? Warum werden keine Ladesäulen mit Bezahlfunktion per EC- oder Kreditkarte installiert? Obwohl Tesla das Model S als Ganzjahresauto auch für die Winterzeit promotet, haben die tiefen Außentemperaturen vielleicht doch Reichweite gekostet? Wie wäre unsere Fahrt verlaufen, wenn es bereits das Supercharger-Netz von Tesla entlang der Autobahnen gäbe?

Mit diesen Schnellladestationen sollen ab 2014 nach einer halben Stunde Ladezeit über 300 Kilometer im Akku verfügbar sein. Nur haben wir davon hier noch nichts.

Inzwischen ist es nach Mitternacht und wir blättern aus Langeweile im kompakten Verkaufsprospekt. Eine Tabelle listet die technischen Daten der unterschiedlichen Leistungsstufen auf. Acht Jahre Garantie auf die Batterie gibt es für alle, unbegrenzte Kilometer nur für die beiden stärkeren Varianten. Für diese ist noch ein weiterer Wert für die Reichweite angegeben – 480 km – „geschätzt“ bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 88 km/h. Für eine Reise-Limousine ist das doch ein Scherz, oder?

Die letzten 155 KilometerDie Zeit scheint still zu stehen, aber dann irgendwann nach 2 Uhr zeigt das Display im Auto zwei Werte für die Reichweite an: 255 (Rated) Kilometer und 178 Kilometer (Average). Trotzdem wollen wir die letzten 155 Kilometer sehr langsam angehen und uns am Ende steigern. So „kriechen“ wir mit Tempo 90 auf der rechten Spur der Autobahn und sind froh, dass in der Nacht nicht mehr viele Trucks unterwegs sind, die man überholen muss. Bei aller Disziplin scheint uns aber wieder der Strom in den Akkus auszugehen.

Rund zwei Stunden später, kurz vor vier Uhr kommt das Ziel in Sicht – das vorzeitige Ende unserer Fahrt allerdings auch. Noch 10 Kilometer Strecke sind es bei nur noch einem Kilometer verbliebener Reichweite. Brauchen wir zu guter Letzt tatsächlich noch ein Taxi?

Dann scheint es doch noch ein Happy-End zu geben, als auf dem Display plötzlich eine Notreserve angezeigt wird.

Wenige Minuten später passieren wir das Ortsschild von Wernigerode und haben es geschafft. Um diese Uhrzeit wollen wir allerdings keinen Mitarbeiter der hiesigen Stadtwerke mehr rausklingeln, um uns die kostenlose Ladesäule zu aktivieren.

Am nächsten Morgen liegen nur noch zwei Kilometer zwischen unserem Parkplatz und der Ladestation. Das sollte der Tesla doch noch schaffen, denken wir und rollen los. Sofort wird ein Notprogramm aktiviert, das die Klimaanlage deaktiviert und die Leistung des Wagens extrem reduziert. Auf der Geraden schaffen wir 30 km/h, aber vor uns liegt noch eine Unterführung.

Notprogramm für die letzten MeterUnd es ist wie in einem schlechten Traum: „Wagen wird heruntergefahren. Fahrzeug bitte am Straßenrand abstellen“, sagt eine Stimme. Wir schaffen die Ausfahrt nicht mehr und bleiben rund 150 Meter vor dem Ziel liegen. Jetzt heißt es Ruhe bewahren, Warndreieck aufstellen und Warnweste anziehen. Da es unmöglich erscheint, das über zwei Tonnen schwere Model S auf der Schräge weg zu schieben, rufen wir den ADAC und ordern einen Abschleppwagen.

Interessantes Detail: Im System des ADAC ist Tesla wohl noch nicht als Hersteller angelegt, dabei hatte das Model S dort vor kurzem so gut im Test abgeschnitten. Die mehrstündige Wartezeit bis zum Abschleppen nutzen einige Passanten, um ihr Bedauern mit uns auszudrücken oder Fotos von dem Exoten zu machen.

Dann endlich kommt der „Gelbe Engel“ von einem anderen Einsatz und ist sichtlich vom Tesla überrascht – den hat er noch nicht in den Händen gehabt. Gut, laut englischsprachiger Bedienanleitung befindet sich der Abschlepphaken an der Front des Wagens hinter dem schwarzen Grill, der rausgehebelt werden muss. Das ist fummelig, aber es klappt. Nun muss der Abschleppmodus per Touchscreen aktiviert und das Getriebe auf N(eutral) gestellt werden.

Bei unserem Pech hat sich durch den Warnblinker jetzt auch die 12V-Batterie entladen, und nichts geht mehr im Cockpit. Also erstmal Starthilfe geben – aber wie?

Die Bedienanleitung schlägt vor, die Hotline anzurufen. Von der haben wir seit dem Vorabend zwar nichts gehört, wir geben ihr aber gern eine zweite Chance. Jetzt nimmt tatsächlich jemand ab. Der Mitarbeiter will allerdings von Tesla noch nichts gehört haben. Wir wählen noch einmal und erreichen einen vermeintlich richtigen Callcenter-Mitarbeiter.

Leider kann er uns beim Thema Starthilfe nicht weiterhelfen und schlägt vor, dass der ADAC-Kollege bitte seine Hotline anrufen solle. Der hat aber inzwischen selbst zwei farbig markierte Bauteile gefunden, an denen anscheinend die Kabel angeschlossen werden müssen. Geschafft – das Model S hat wieder genug Energie, um es abzuschleppen. Die letzten 150 Meter bis zur Ladesäule legen wir huckepack zurück.

Die Rückfahrt kann losgehenAb jetzt kann es nur noch besser werden. Tatsächlich läuft nun (fast) alles glatt. Ein Mitarbeiter der Stadtwerke Wernigerode kommt, öffnet uns die Ladesäule und fünf Stunden später stehen uns wieder 493 Kilometer Reichweite zur Verfügung – zumindest theoretisch. Da es morgen wieder zurück nach Frankfurt geht, sparen wir uns die Ausflugsfahrten vor Ort und schauen stattdessen im Internet nach einer Notladestation im nördlichen Hessen.

Ungefähr auf halbem Weg werden wir in Homberg (Efze) fündig, wiederum beim regionalen Stromversorger. Analog zu Kassel benötigt man dort eigentlich auch eine Kundenkarte, wiederum bietet uns ein netter Mitarbeiter seine Hilfe an. Trotz vergleichsweise schnellen Ladens bleiben mehrere Stunden zum Sightseeing in der nordhessischen Kleinstadt.

Doch irgendwann endet auch die „schönste Reise“ und ernüchtert stellen wir das Tesla Model S wieder in Frankfurt ab. Einen Tag nach Abgabe meldet sich übrigens dann doch noch die Hotline von Tesla auf unseren Anruf von vorgestern zurück. Man fragt, ob sich das Problem inzwischen erledigt habe. Ja, vielen Dank!

Nachtrag: Wir haben die verschiedenen Argumente und Anmerkungen unserer Leserinnen und Leser zu der Testfahrt in einem neuen Text nocheinmal aufgegriffen, den Sie hier finden. Auf Ihr Feedback sind wir gespannt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%