Soziale Innovationen Sechs Wege, wie wir ihnen zum Durchbruch verhelfen

Noch wird zu viel über technische Innovationen geredet, statt über neue Ideen im Sozialen. Das muss sich ändern.

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Vergangene Woche haben wir uns in einem Beitrag damit beschäftigt, warum wir einen neuen Innovationsbegriff brauchen und wie Sozialinnovationen die Gesellschaft voranbringen. An dieser Stelle führt Laura Haverkamp die Debatte weiter. Sie arbeitet für die Ashoka, das weltweit größte Netzwerk zur Förderung von Sozialunternehmern (Social Entrepreneurs), und ist in Deutschland verantwortlich für die Suche und Auswahl von Ashoka Fellows – Sozialunternehmer/innen, die innovative und skalierbare Lösungen für gesellschaftliche Probleme entwickelt haben.

Stellen wir uns ein Deutschland vor, in dem sich noch mehr Menschen als bereits heute für gesellschaftliche Problemlösungen engagieren – anstatt Lösungen von den anderen zu fordern. Ein Deutschland, in dem innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme frühzeitig erkannt, gefördert und systematisch verbreitet werden.

Wir von Ashoka sind überzeugt: Gemeinsam können – und müssen – wir so ein Deutschland schaffen. Denn wir brauchen innovative und wirksame Problemlösungen, die zum Beispiel für mehr Chancengleichheit und Teilhabe sorgen. Und die dem Staat Geld sparen – indem Folgekosten für Sozialprogramme vermieden oder der Einsatz von Ressourcen verbessert wird.

Welche Rahmenbedingungen aber sind notwendig, damit das Entstehen und die Verbreitung dieser sozialen Innovationen nicht dem unermüdlichen Einsatz sozial motivierter Pioniere und oft auch dem Zufall überlassen bleiben? Wann haben soziale Innovationen ihren Platz als dritte Innovationssäule zur Zukunftsgestaltung unseres Landes wirklich erlangt?

Die Hürden für die GutenAuf der Basis einer Studie hat Ashoka Ende 2011 zehn Hürden für die Verbreitung sozialer Innovation sowie sechs Ansätze zu ihrer Förderung skizziert. Heute ist in vielen Bereichen bereits deutliche Bewegung erkennbar. Und gleichzeitig gibt es nach wie vor vieles zu bewegen, um sozialen Innovationen den Raum zu geben, den sie zur Zukunftsgestaltung in Deutschland verdienen:

1) Transferagenturen ermöglichen die schnelle Replikation und Verbreitung von Innovation

Universitäten haben Technologietransferzentren. Gäbe es diese auch im Sozialsektor, könnten sie drei wichtige Funktionen übernehmen: (1) Informationen über erprobte Innovationen und ihre Wirkung sammeln und transparent machen, (2) Interessierten Imitatoren (anderen Sozialunternehmern, Wohlfahrtsverbänden) eine Anlaufstelle bieten und (3) Finanzierungsquellen identifizieren, die für die Vervielfältigung von erprobten Innovationen verwendet werden können.

Anschließend an dieses „Matching“ können sie individuell die Umsetzung der Ideen durch Beratung und Coaching betreuen. Dabei ist eine Transferagentur nicht notwendigerweise eine neu geschaffene Institution, sondern könnte als Ausbau existierender Strukturen, zum Beispiel in Stiftungen mit entsprechender Expertise, realisiert werden.

2) Soziale Innovationszentren zur lokalen Förderung

Während Transferagenturen überregional einen „Push“ für eine Idee erzeugen können, zielen soziale Innovationszentren auf einen lokalen „Pull“ ab. Analog zu einem Gründerzentrum in der Wirtschaft ermöglichen sie die Verbreitung sozialer Innovation und übernehmen verschiedene Aufgaben – von der Bereitstellung von Infrastruktur über zentrale Dienstleistungen bis hin zu Vernetzungsangeboten und Coaching.

Ashoka Fellow Norbert Kunz baut momentan gemeinsam mit dem BMFSFJ und dem Unternehmen SAP lokale Zentren auf, die social impact labs. Hier vergibt er Stipendien für die Büronutzung und begleitende Beratung sowie Mentoring der sozialunternehmerischen Gründerteams. Als weitere Zentren mit ähnlichen Ansätzen gibt es heute bereits das europäische „Hub“-Netzwerk, das Social Lab in Köln, und das Haus des Stiftens München. Auch bestehende kommunale Wirtschaftsgründerzentren wären erweiterbar.

3) Innovative Finanzinstrumente zur Etablierung eines Markts für soziales Kapital

Noch existiert kein wirklicher sozialer Kapitalmarkt, in dem die besten Organisationen die geeignetsten Investoren finden, sei es in der Start- oder Anschlussphase. Vielmehr sind soziale Innovatoren oft noch etwas orientierungslos, wen sie für Kapitalbeschaffung ansprechen können. Denken wir Finanzierung aber nicht von der Logik der einzelnen Geldgeber her, sondern vom Bedarf für das Wachstum einer herausragenden sozialen Innovation, tun sich spannende Vernetzungsperspektiven auf.

Die von Ashoka mit auf den Weg gebrachte „Finanzierungsagentur für Social Entrepreneurship“ soll hier neue kreative Wege zur Finanzierung sozialer Innovation aufzeigen, Geldgeber miteinander vernetzen und sich für eine neue „financial literacy“ einsetzen, die zur Förderung sozialer Innovation notwendig ist.

4) Wirkungsorientierte öffentliche Mittelvergabe als Anreiz für Innovation

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge definieren Länder und Kommunen typischerweise die zu erbringende Leistung; der Auftrag wird dann über einen Preiswettbewerb vergeben. Dadurch entsteht zwar ein Anreiz zur Effizienz, aber nicht zur Wirkungssteigerung. Wenn eine Ausschreibung Wirkungsziele benennen anstatt feste Aktivitäten vorschreiben würde, wären die Chancen für innovative Angebote deutlich höher, sich auf breiterer Front zu etablieren.

Auch wenn es hier noch viel zu tun gibt: Für viele Programme gibt es mittlerweile hervorragende Wirkungsindikatoren, und auch rechtlich spricht auf kommunaler Ebene nichts dagegen, erfolgsabhängig zu bezahlen. Stiftungen, Wissenschaft und Ministerien könnten hier ansetzen und wirkliches Neuland betreten: Mit einem Leitfaden zur Aufbereitung der rechtlichen Möglichkeiten und gelungenen Fallbeispielen, mit Pilotprojekten in innovativen Kommunen, mit Ideen zu einem Vergabekodex für Kommunen.

5) Kooperation zwischen Sozialunternehmern und Wohlfahrtsverbänden

Wohlfahrtsverbände und Sozialunternehmer ergänzen sich hervorragend in ihren Stärken: Sozialunternehmer können vom umfassenden Skalierungswissen und den professionellen Vor-Ort-Organisationen der Wohlfahrtsverbände profitieren. Die Verbände wiederum können ihre Angebotspalette – trotz oder gerade wegen immer knapperer staatlicher Mittel – um innovative Angebote der Sozialunternehmer bereichern und Anregungen für das interne Innovationsmanagement erhalten. Am Beispiel „wellcome“ lässt sich hervorragend beobachten: Sozialunternehmer und Wohlfahrtsverbände wachsen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern gemeinsam und gerade durch einander.

Die weitere Bekanntmachung positiver Beispiele der Kooperation, übergreifender Meinungsaustausch und vielleicht sogar der Austausch von Personal können Ansätze sein, um diese Verknüpfung von Stärken weiter auszubauen.

6) Talentinitiative für den sozialen Sektor

Viele Menschen finden heute im Sozialsektor Erfüllung und Engagement, aber wenige sehen hier auch eine Karriereoption für sich. Dabei ist es für das Wachstum sozialer Innovationen ganz entscheidend, dass wir mehr „Karrierewege für Weltveränderer“ bauen. Dazu müssen Optionen bekannt und Vorurteile abgebaut werden; aber auch die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Sektoren unserer Gesellschaft gilt es zu erhöhen.

Mit der Personalagentur Talents4Good gibt es seit Anfang 2012 die erste Personalvermittlung für ausgewählte Jobs und Projekte mit gesellschaftlicher Wirkung. Durch die Vermittlung von Vollzeitstellen einerseits und Projekteinsätzen andererseits unterstützt sie die Schaffung von Karrierewegen im sozialen und sozialunternehmerischen Sektor.

Parallelen zu TechnikinnovationenOb Finanzierungswege, Wirkungsorientierung, Transfermechanismen – Diese sechs Ansätze können Hürden bei der Verbreitung sozialer Innovation überwinden helfen. Dabei lohnt es sich, Parallelen zur Grundlagenforschung und Technologieförderung zu ziehen. Denn alles Große beginnt einmal klein und wir wissen: Gesellschaftliche Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Wir sollten die Förderung sozialer Innovationen daher früh und ganzheitlich beginnen, um vielversprechenden Ansätzen bereits im Konzept- und frühen Pilotstadium Raum zur Entfaltung zu geben.

Eine gute Nachricht ist: Es gibt bereits viele nachweislich wirksame Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme. Nur erreichen sie nicht all diejenigen, die von ihnen profitieren könnten. Für soziale Innovationen brauchen wir daher Transferzentren, so wie es Technologietransferzentren bereits gibt. Durch sie könnte die Verbreitung erfolgreicher sozialer Innovationen systematisiert werden.

Soziale Innovationen und ihre Entwickler verdienen die beste Unterstützung, denn sie sind mehr als der Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft: Sie können die Forschungs- und Entwicklungsabteilung sein. Ihnen den dafür notwendigen Rückenwind und bedarfsgerechte Förderung zu geben ist unser aller Aufgabe.

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