Seegras Die beste Hausdämmung der Welt?

Der Karlsruher Architekt Richard Meier entdeckte beim Strandurlaub zufällig Bälle aus Seegras. Damit will er jetzt die Dämmstoff-Branche revolutionieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Junge Hunde lieben Seegraskugeln. Vom Wind über den Sand gejagt sind ein herrliches Spielzeug. Vor allem rund ums Mittelmeer sind sie vor allem im Herbst, Winter und Frühling zu beobachten. Strandurlauber finden das weniger witzig. Deshalb räumen die Verwaltungen die Neptunbälle, wie sie auch genannt werden, gleich tonnenweise weg.

Dabei ist Seegras, das ursprünglich nur in Australien heimisch war, ein wertvoller Rohstoff, was erst langsam ins Bewusstsein der Menschen dringt. Zu den Vorreitern gehören Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie in Pfinztal und das Start-up NeptuTherm im benachbarten Karsruhe. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Seegras zu einem idealen Wärmedämmmaterial aufbereiten lässt.

Es bringt alle wichtigen Voraussetzung von Natur aus mit. Es ist schwer entflammbar und resistent gegen Schimmelbildung. Er verrottet nicht und bindet überschüssiges Wasser, um es wieder abzugeben, wenn der Feuchtigkeitsgehalt des gedämmten Raums wieder zurückgegangen ist. Selbst angereichert mit Wasser verlieren Seegrasfasern ihre Fähigkeit zur Wärmedämmung nicht. Da sie keinerlei Fremd- oder Schadstoffe enthalten, sind sie auch für Allergiker geeignet.

Blieb also nur noch die Aufbereitung zu einem Produkt, dass sich beispielsweise zwischen die Dachsparren stopfen oder in Hohlräume pusten lässt - sich also sowohl für die Dämmung von Dach und Außenwänden als auch zum Befüllen von Böden und Wänden eignet. Die Befreiung von Sand war die leichteste Aufgabe. Die Neptunbälle werden einfach durchgerüttelt, bis das letzte Sandkorn abgefallen ist. Die Neigung der Fasern, sich immer wieder ineinander zu verschlingen, so dass sich neue Bälle bilden, die keine optimale Dämmfunktion haben, bekamen die Forscher in den Griff, indem sie die Bälle zerschnitten. Übrig blieben maximal zwei Zentimeter lange Fasern.

Die Ikea-Stiftung hatte das Potenzial des Dämmstoffs anscheinend schon im Jahr 2007 erkannt und zeichnete die Idee mit dem Preis "Wohnen in der Zukunft" aus. Inzwischen ist NeptuTherm mit seinem Produkt schon ein Jahr auf dem Markt. Richard Meier, Architekt und NeptuTherm-Geschaftsführer, verkauft sein Material bisher aber nur im Direktvertrieb.

Meier entdeckte die Eigenschaften der Neptunbälle eher durch Zufall - als er eine der Kugeln im Urlaub in Brand setzen wollte, klappte das nicht. Bei Häusern müsse das ebenso sein, dachte er sich, packte ein paar Bälle ein und begann in Deutschland, mit dem Material zu experimentieren. Für weitere Untersuchungen tat er sich damals mit dem Fraunhofer-Institut zusammen.

Mittlerweile hat sich gezeigt: Das Unterwasser-Gras packt Häuser nicht nur optimal ein, sondern ist ökologischer als alle anderen Dämmstoffe auf dem Markt (siehe Grafik). Ganz billig ist das Ökomaterial allerdings nicht: So kostet zum Beispiel eine 20 cm dicke Dämmung 28 Euro pro Quadratmeter. "Aber wenn man berücksichtigt, dass bei einem Abbruch später keinerlei Entsorgungskosten entstehen, ist es eine hervorragende Investition in die Zukunft", sagt Meier. Billigdämmstoffe aus Kunststoff sind schon ab einigen Euro pro Quadratmeter zu haben; manche Dämmungen kosten aber auch mehr als die Seegras-Isolierung.

Während das Dämmmaterial aus Posidonia oceanica, so der wissenschaftliche Name des Seegrases, im Winter verhindert, dass Wärme nach draußen fließt, speichert es im Sommer Wärme, sodass das Haus kühl bleibt. NeptuTherm bezieht sein Rohmaterial derzeit aus Tunesien und Albanien. Als nächstes wollen die Entwicklungspartner, zu denen noch die Unternehmen X-Floc, Fiber Engineering und die Unternehmensberatung RMC aus Freiburg gehören, eine feste Faserplatte entwickeln, ebenfalls ohne den Einsatz von Fremdstoffen. Im Labor ist den Fraunhofer-Forschern eine solche schon gelungen.

Hier hat Richard Meier bei einem Schnorchelgang den Urpsrung seines Dämmstoffs gefilmt:

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%