Schweben statt im Stau stehen Seilbahnen erobern die Metropolen

Ankara, La Paz und Berlin: Weltweit bauen Millionenstädte Seilbahnen, die Staus und Smog bekämpfen.

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Ankara hebt ab: In der türkischen Hauptstadt nimmt in diesen Tagen eine Seilbahn den Betrieb auf, wie es sie kein zweites Mal zwischen Lissabon und Nowosibirsk gibt: Bis zu 60 Meter hoch schweben ihre Gondeln über die Straßen und bieten ihren Passagieren einen spektakulären Blick über das Häusermeer, als wäre das hier keine Millionenstadt, sondern Disneyland.

Doch der Stadtverwaltung von Ankara geht es nicht nur um eine Touristenattraktion. Die neue Seilbahn soll dringende Probleme lösen, unter denen viele Millionenstädte leiden: Den notorischen Stau auf den Straßen, den Smog über der Stadt, die steigenden Kosten für den Erhalt und Ausbau der Verkehrsnetze.

Bisher waren die Bewohner der Quartiere Şentepe und Yenimahalle auf Auto, Moped oder Bus angewiesen, um zur Arbeit oder zum Shoppen zu fahren. Zur nächsten Metrostation brauchten sie in der Rushhour oft 50 Minuten. Mit der Seilbahn soll die Fahrt nun bloß noch zehn Minuten dauern.

Zwar fahren die Gondeln nur 21 Stundenkilometer - dafür aber nehmen sie den direkten Weg zum Ziel und gleiten lautlos über alle Staus und rote Ampeln hinweg. Alle paar Sekunden kommt eine neue freie Kabine an die Haltestelle, die Wartezeiten sind darum kurz. 106 Gondeln sind im Einsatz, jede bietet Platz für zehn Fahrgäste. Macht bis zu 2400 Passagiere pro Stunde.

Ankara ist nicht die einzige Millionenstadt, die auf die Gondelbahn als neues Verkehrsmittel setzt. Auch in der kolumbianischen Stadt Manizales, in Hongkong oder im georgischen Tiflis sind schon städtische Seilbahnen in Betrieb. Die bolivianische Hochlandmetropole La Paz baut gerade gar drei Gondelbahnen.

Schneller und sparsamer als Busse und BahnenVerkehrs- und Städteplaner wie Heiner Monheim, Mitinhaber des Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation (raumkom) in Trier, sehen die schwebenden Verkehrsmittel inzwischen als ernsthafte Alternative für Busse und Bahnen. "Allein in Deutschland  gibt es tausende Strecken", sagt Monheim, "auf denen der Bau einer Seilbahn Sinn ergäbe."

So können Gondelbahnen erstens Stadtviertel an bestehende Metronetze anschließen, wie nun in Ankara. Sie können zweitens Hindernisse wie etwa Flüsse überwinden, was etwa eine private Initiative in Hamburg plant: Dort soll eine eineinhalb Kilometer lange Strecke von der Innenstadt aus die Elbe überqueren.

Drittens eignen sich Seilbahnen, um bestehende Bahn- und Buslinien miteinander zu vernetzen, also eine Querverbindung zu schaffen. So war in Köln eine Seilbahn über den Rhein im Gespräch, die den Hauptbahnhof mit dem ICE-Bahnhof im rechtsrheinischen Deutz verbinden könnte. In Bonn, glaubt Verkehrsplaner Monheim, könnte eine Querverbindung vom Venusberg bis über den Rhein hinweg gar fünf Straßen- und Regionalbahnen miteinander verbinden.

So extravagant Seilbahnen in der Stadt erscheinen mögen - sie haben mehrere große Vorteile gegenüber herkömmlichen öffentlichen Verkehrsmitteln. Zum Beispiel sehr geringe Planungszeiten.

"Der Bau geht in atemberaubender Geschwindigkeit", sagt Verkehrsplaner Monheim. In Koblenz entstand eine Seilbahn in nur eineinhalb Jahren, in Ankara binnen sechs Monaten. Neue Straßenbahnen fahren oft erst nach 15 Jahren Planung und Bau.

Auch fügen sich Seilbahnen leicht in die bestehende Infrastruktur ein. Auf dem Boden nehmen sie nur wenig Platz weg, und statt den verwinkelten Straßen zu folgen, können sie direkt über alle Hindernisse hinwegschweben.

Auch steile Berghänge erklimmen sie spielend. "In Koblenz erreicht die Seilbahn die Festung Ehrenbreitstein in vier Minuten", sagt Monheim, "der Bus braucht 25 Minuten."

Obendrein fahren die Gondeln mit Strom und verursachen dadurch weder Lärm noch Abgase. Weil auch die Reibung geringer ist als beim Bus, die Linienführung direkter und nur ein Motor für Dutzende Gondeln betrieben wird, verbraucht eine Seilbahn pro Passagier und Kilometer laut raumkom-Berechnungen bis zu fünf mal weniger Energie als ein Bus.

La Paz baut Seilbahn in 4000 Meter HöheMit all diesen Argumenten in der Hinterhand wollen nun zwei große Gondel-Hersteller den Markt für urbane Seibahnen erschließen: Leitner aus Südtirol und Doppelmayr aus Vorarlberg. Mit der Bahn in Ankara hat Leitner gerade sein neuestes Prestigeprojekt eröffnet. Doch die Konkurrenz ist schon mit dem nächsten Großprojekt beschäftigt, das den Fahrgästen ab Ende des Jahres besonders spektakuläre Ausblicke bieten dürfte.

Denn Doppelmayr baut in Boliviens Hochland-Metropole La Paz die drei Seilbahnen mit insgesamt elf Kilometern Strecke, die den Talkessel mit der Nachbarstadt El Alto auf mehr als 4000 Meter Höhe verbinden.

Müssen sich die Bewohner der Stadt bisher in Bussen und Autos mehr als eine Stunde lang durch verwinkelte Straßen den Berg hinauf quälen, sollen sie bald bequem binnen zehn bis 17 Minuten hinauf schweben.

In ganz Lateinamerika ist geradezu ein Gondel-Fieber ausgebrochen. Zuletzt gingen Strecken in Rio de Janeiro und in der kolumbianischen Millionenstadt Cali in Betrieb. Sie verbinden Favelas, die per Bus nur mühsam oder gar nicht erreichbar sind, mit Verkehrsknotenpunkten im Stadtzentrum - und erfüllen so auch eine soziale Funktion: Die Menschen kommen schneller in die Stadt und zu ihrem Arbeitsplatz.

Dabei sind die Betriebskosten der Schwebe-Bahnen so gering, dass sie auch für Städte in Entwicklungsländern erschwinglich sind. Denn die Seilbahnen sind ohne Fahrer unterwegs, der Energieverbrauch ist niedrig und die Anlagen müssen vergleichsweise selten gewartet werden.

In Ankara soll die neue Seilbahn dadurch 80 Prozent der Kosten sparen, die etwa Busse und Bahnen im Betrieb verursachen.

Allerdings müssen Städteplaner sehr genau prüfen, wo sie Anwohnern Kabinen über ihren Köpfen zumuten. "Idealerweise verläuft eine Seilbahn entlang einer großen Straße", sagt Verkehrsplaner Monheim. Denn dort stören die Gondeln am wenigsten. Neue Masten mit Schienen erlauben es inzwischen, Seilbahnen auch Kurven fahren zu lassen und so die Richtung innerhalb der Stadt zu ändern. Derartige Streckenführungen erhöhen allerdings auch wieder die Fahrtzeit.

Hoch über Berlin und WuppertalNicht alle Verkehrsprobleme aber lassen sich in luftiger Höhe lösen. Denn die Kapazität von Seilbahnen ist begrenzt: Wo 20.000 Passagiere und mehr pro Stunde transportiert werden müssen, sind nur noch Metros dem Ansturm gewachsen. Auf Strecken von mehr als sieben Kilometern sind Seilbahnen wiederum meist zu langsam. Und weil Gondeln auf gleicher Strecke oft drei mal weniger Stationen anfahren als Busse, sind sie weniger gut geeignet, um Stadtviertel kleinteilig zu erschließen.

Vor allem aber kommen viele Kommunen gar nicht erst auf die Idee, über eine Seilbahn als neues Verkehrsmittel nachzudenken. Erst langsam ändert sich das - etwa in Berlin. Dort baut Leitner auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau (IGA), die 2017 im Berliner Stadtteil Marzahn stattfindet, eine eineinhalb Kilometer lange Seilbahnstrecke. Sie besteht aus drei Stationen und sieben Stützen.

In 30 Meter Höhe sollen die Fahrgäste in Gondeln über das Gelände schweben und die Aussicht genießen. 14 Millionen Euro kostet die Touristen-Attraktion, von der sich die IGA-Veranstalter ein Plus an Besuchern versprechen.

Auch in Wuppertal diskutieren Städteplaner derzeit intensiv über Masten, Seile und Kabinen: Der Verband Pro Bahn arbeitet an einem Seilbahn-Konzept für die Stadt im Bergischen Land.

Die Linie soll den Hauptbahnhof mit der Universität auf dem Grifflenberg und einem noch weiter entfernten Schulzentrum verbinden - und dadurch mindestens zwei Buslinien ersetzen. Einen Vorteil haben die Planer auf ihrer Seite: An Schwebebahnen haben sind die Wuppertaler schon lange gewöhnt.

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