Rollender Löwenzahn Continental fertigt Autoreifen aus Pusteblume

Bisher bestehen Autoreifen fast zur Hälfte aus Naturkautschuk vom Gummibaum. Jetzt soll Löwenzahn den Rohstoff liefern.

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Vermutlich schon im nächsten Jahr rollen Autos über Deutschlands Straßen, deren Reifen teilweise aus der Milch des Löwenzahns bestehen. Derzeit bauen der Hannoveraner Reifenhersteller Continental und Fraunhofer-Forscher aus Münster und Aachen in Münster eine Pilotanlage, in der Naturkautschuk aus dieser Pflanze im Tonnenmaßstab gewonnen werden kann.

Für Nikolai Setzer, der im Continental-Vorstand für die Division Reifen verantwortlich ist, ist die Entlastung der Umwelt durch die Nutzung der heimischen Pflanzen entscheidend. Bisher muss Naturkautschuk aus subtropischen Ländern über große Entfernungen transportiert werden. Außerdem lockt die Reifenhersteller die Aussicht, an den unverzichtbaren Rohstoff billiger als bisher heranzukommen.

Forscher des in Aachen und Münster beheimateten Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie haben in den letzten Jahren eine kaukasische Variante der Pusteblume so verändert, dass sie sich wie eine Feldfrucht anbauen und ernten lässt. Gleichzeitig steigerten sie durch Züchtung den Kautschukgehalt in der Milch.

Ein weiteres Ziel war es, die Pflanze an Böden anzupassen, die für die normale landwirtschaftliche Produktion ungeeignet sind. Der Gärtnereibetrieb Gäuboden Kräuter im bayrischen Straubing wird den getunten Löwenzahl demnächst auf einer Fläche von 30000 Quadratmeter in einem ersten Feldversuch anbauen.

Löwenzahn ist zäher als der Gummibaum

„Durch modernste Züchtungsmethoden und anlagentechnische Optimierung ist es uns gelungen, hochwertigen Naturkautschuk aus Löwenzahn im Labor herzustellen“, sagt Professor Rainer Fischer, der den Aachener Fraunhofer-Standort leitet. Jetzt sei die Zeit reif, das Verfahren zur industriellen Reife zu bringen. Das Projekt läuft bis 2016.

Auch wenn in modernen Autoreifen viele Werkstoffe aus dem Labor stecken: Auf Naturkautschuk kann die Industrie nicht verzichten. Sein Anteil liegt immer noch bei 40 Prozent.

Gegenüber dem Gummibaum, dem traditionellen Lieferanten des zähen Safts, hat die kaukasische Version der Pusteblume drei entscheidende Vorteile: Während der Gummibaum wenigstens drei Jahre braucht, ehe er angezapft werden kann, liefert Löwenzahn im Jahr der Aussaat. Gleichzeitig ist sie weniger anfällig für Schädlinge. Und schließlich benötigt sie kein subtropisches Klima und kann auf heimischen Äckern minderer Qualität angepflanzt werden, konkurriert also nicht mit der Nahrungs- und Futtermittelproduktion.

Kaukasischer Löwenzahn, der den biologischen Namen Taraxacumkok saghys trägt, wurde schon während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland, Russland und den USA als Kautschuklieferant genutzt. Die Milch tritt aus, wenn die Pflanze verletzt wird. Experten der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau schätzen, dass auf einer Anbaufläche von 10.000 Hektar (rund 14.000 Fußballfelder) ein Zehntel des deutschen Bedarfs an Naturkautschuk produziert werden könnte.

Der Anbau von kaukasischem Löwenzahn ist zusätzlich attraktiv, weil als Nebenprodukt Inulin anfällt, das sich in der Wurzel sammelt. Es handelt sich um einen natürlichen Ballaststoff, der heute aus Chicoree gewonnen und Nahrungs- und Futtermitteln beigemischt wird.

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