Rohstoff-Doping Neue Technik soll das Erdöl-Zeitalter verlängern

Unternehmen haben eine gigantische Ölquelle entdeckt: Alte Ölfelder, die kaum mehr produzieren.

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Wenn sich heute die Mitglieder der erdölexportierenden Länder (OPEC) in Wien treffen, wird es vor allem um eines gehen: Den sinkenden Ölpreis. Manche Länder, allen voran Iran und Venezuela aber auch der Irak, wollen die Förderung drosseln, um das Angebot zu verknappen und den Rohstoff teurer zu machen. Saudi Arabien dagegen will an den hohen Förderraten festhalten.

Alle Länder haben ihre Interessen: Die Staaten, die das Angebot verknappen wollen, fürchten um ihre Staatshaushalte, denn sie brauchen einen Ölpreis von mehr als 100 Dollar, um ihre üppigen Sozialprogramme und damit den inneren Frieden zu finanzieren. Derzeit kostet ein Fass aber unter 80 Dollar. Saudi-Arabien, das nicht daran denkt, weniger zu fördern, will wohl die Konkurrenz in den USA einschüchtern. Die Vereinigten Staaten sind 2013 dank des Booms bei der Schieferölförderung zum weltgrößten Produzenten des schwarzen Goldes aufgestiegen.

Öl könnte trotzdem knapp werdenEin Thema, für das die Delegierten aus zwölf Ländern in Wien weniger Zeit haben werden, ist die Zukunft der Erdölförderung. Zwar heißt es aus den meisten OPEC-Staaten immer wieder, die förderbaren Reserven reichten noch für die nächsten Jahrzehnte. Doch unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen, die das bestätigen würden, gibt es in den wenigsten Ländern.

Beunruhigen muss die Ölproduzenten, dass die Förderraten bei aktiven Feldern im Durchschnitt um vier bis sechs Prozent pro Jahr abnehmen. Der Grund ist schlicht, dass sich der Druck im Erdboden verringert und deshalb weniger Öl an die Oberfläche strömt. Den Wegfall können neu entdeckte Ölreservoirs ausgleichen. Doch hier sieht es alles andere als gut aus, wie die Internationale Energieagentur IEA in ihrem aktuellen Weltenergiebericht zeigt:

Die Grafik macht deutlich, dass immer weniger neue Felder entdeckt werden, um den Rückgang aufzufangen. Was die Folgen sind, zeigt ein Ausschnitt aus einer weiteren Grafik des IEA-Reports:

Deutlich zu sehen ist, dass die Förderraten aus den derzeit aktiven Feldern (existing fields) stark abnehmen. Nun gibt es künftig einige Möglichkeiten, diesen Rückgang aufzufangen. Entweder werden wieder mehr Felder entdeckt und neue Ölquelllen wie Teersande, Tiefseefelder oder Ölschiefer (Kerogen) erschlossen. Doch hier ist eine Förderung kostspielig.

Neue Technologien lassen alte Quellen sprudelnDeshalb rücken in der Erdölindustrie zunehmend die aktiven und alten, vermeintlich ausgepumpten Felder in den Mittelpunkt des Interesses. Denn bei einer normalen Ölförderung kommen nur 20 bis 30 Prozent aus einer Lagerstätte an die Oberfläche. Schon länger pumpen Unternehmen daher Wasser, Dampf oder Kohlendioxid in den Untergrund, um den Druck zu erhöhen oder das Öl flüssiger zu machen und somit einige Prozent mehr zu fördern.

Mit ganz neuen Fördertechnologien (im englischen als "Enhanced Oil Recovery" bezeichnet) wollen die Unternehmen den alten Feldern noch viel mehr Erdöl abringen. Die staatliche Geologiebehörde USGS in den USA schätzt, dass alte Ölfelder künftig zu einer der wichtigsten neuen Ölquellen werden. Ganze 665 Milliarden Fass Öl könnten mit Hilfsmitteln weltweit noch aus den alten Feldern geborgen werden. Aktuell hätte dieses Öl einen Wert von rund 53 Billionen US-Dollar und könnte mehr als 30 Jahre die Hälfte des Ölverbrauchs auf der Welt decken. Allerdings ist der Aufwand nicht gering, wie diese Beispiele zeigen:

1. AserbaidschanIn Aserbaidschan liegt die Wiege der Ölförderung. Dort verdienten mit den ersten Litern, die im späten 19. Jahrhundert aus dem Boden um die Hauptstadt Baku schossen, die Familie Nobel (die später den Nobelpreis stiftete), die Rothschilds und der Ölgigant Shell viel Geld.

Heute kämpft Aserbaidschan, wie alle anderen Länder, die Öl aus konventionellen Quellen fördern, mit einem Rückgang des Rohstoffes. Seit 2009 zeigt die Förderkurve nach unten. Aber auf dem Meer vor der Küste soll der wertvolle Rohstoff weiter sprudeln. Dafür hat die Forschungsabteilung der staatlichen Öl- und Erdgasgesellschaft Socar, der wichtigste Arbeitgeber des Landes,  in den vergangenen Jahren ein auf Nanomaterialien beruhendes Verfahren entwickelt.

Dabei mischen die Ingenieure in Handarbeit eine Art dickflüssiges Gel zusammen, das über mehrere Monate in die Ölfelder gepumpt wird. Basis sind kleinste Materialien, die eine Art Netz bilden und das Öl aus dem Feld drücken. Das Wasser für das Gel kommt mit dem Öl aus den Feldern. Tenside tragen dazu bei, dass sich die Nanoteilchen im Wasser lösen, so wie auch in Waschmitteln.

Zehn bis 15 Prozent des Öls, das in den alten Feldern verblieben ist, kann Socar so zusätzlich fördern. Insgesamt lässt sich damit ein Ölfeld zu rund 50 Prozent leer pumpen. Bei mehr als 15 Bohrungen wurde das Verfahren bis 2013 schon angewendet. Allerdings sind derzeit vor den Küsten Aserbaidschans mehr als 1000 Bohrungen in der Tiefe versenkt.

Zu den Kosten äußert sich Socar nicht, auch weitere Details des Verfahrens wie die genauen Mischverhältnisse des Gels bleiben ein Geheimnis. Aber unaufwendig ist das Verfahren nicht. Je nach den vorhandenen Daten der Zusammensetzung des Erdöls kann es ein bis zwei Monate dauern, bis Chemiker, Geologen und Erdölingenieure die für die Förderstelle passende Mixtur für das Gel gefunden haben.

2. Deutschland

Aber nicht nur im Meer wollen Ingenieure und Unternehmen die Förderraten steigern. Seit einigen Jahren pressen sie auch an Land Dampf in den Untergrund. Das macht das Öl flüssiger. Da konventionelle Ölvorkommen in porösem Gestein lagern, fließt der Rohstoff leichter an die Oberfläche. Auch Mikroorganismen leisten Dienst im Erdreich. Sie zerkleinern die Bestandteile des Öls - und verbessern damit die Fließeigenschaften des zähen Rohstoffs.

An einem Öldoping auf Ökobasis arbeitet das deutsche Mineralölunternehmen Wintershall seit einigen Jahren. Zusammen mit der Konzernmutter, dem Chemieriesen BASF, testen die Forscher in einem norddeutschen Ölfeld bei Diepholz einen Stoff, den sie mit einem chemischen Verfahren einer Baumpilzart entziehen, dem Gemeinen Spaltblättling. Das Material, ein sogenanntes Biopolymer, verdickt Wasser. Pumpen pressen die Pilzbrühe anschließend in das Ölfeld. Je dicker das Wasser, desto besser kann es das Öl aus seinem Reservoir schieben. Laut Wintershall ist das Verfahren umweltfreundlich. Auch mit diesem Verfahren sollen, ähnlich wie mit der Nanotechnologie-Methode in Aserbaidschan, bis zu 50 Prozent des Erdöls aus einem Feld herausgeholt werden.

3. NordamerikaTechnisch am gewagtesten sind derzeit die Versuche in den USA, mehr Erdöl aus schon versiegenden Feldern herauszubekommen. Supercomputer, zum Beispiel beim Erdölriesen BP, helfen geologische Daten zu analysieren, um die verbliebenen Ölreste in den Feldern punktgenau aufzuspüren. Um diese Taschen an Restöl zu bergen, haben Unternehmen ganz neue Verfahren entwickelt.

Das US-Unternehmen Novas Energy aus Texas zum Beispiel schießt – vereinfacht gesagt – mit einer knapp drei Meter langen Elektronenkanone, die ins Bohrloch abgelassen wird, elektromagnetische Impulse in das Ölfeld. Das soll die letzten Rohstoffreste aufrütteln, so dass sie sich verflüssigen und in Richtung des Bohrlochs strömen können. Derzeit wird die Technik bei mehr als einem Dutzend Ölfeldern in den USA getestet. Erste Resultate lassen vermuten, dass damit noch einmal 25 Prozent mehr Öl gefördert werden könnten und die Fördermenge auf rund 60 Prozent ansteigt.

Ähnlich futuristisch klingt die vom kanadischen Unternehmen Falcon Ridge Oil entwickelte Technik, die sie als Terra Slicing beschreiben, also das Schneiden von Erde: Dabei werden die Rohre und die Zementversiegelung im Bohrloch aufgefräst. Durch die Fenster spült dann eine mit Chemikalien versetzte Flüssigkeit die Erde auf, so dass Öl wieder ungehindert fließen kann. Wie auch die Technik von Novas Energy wurde das Verfahren urspünglich in Russland entwickelt. Erste Tests laufen derzeit und Falcon Ridge will das Verfahren schon im großen Stil kommerzialisieren.

Welches der Verfahren sich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Alte Ölfelder werden künftig zunehmend reaktiviert. Für die OPEC-Mitglieder sind das durchaus gute Nachrichten. Für das Klima weniger – will die Menschheit die Erderwärmung aufhalten, sollte sie das Öl lieber im Boden lassen.

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Teile der Recherche sind aus einem Artikel der WirtschaftsWoche zur Zukunft der Ölförderung entnommen.

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