Quinoa Ein Getreide in Zeiten des Klimawandels

Quinoa gilt als widerstandsfähig und kann laut den UN für mehr Ernährungssicherheit sorgen. Doch auch die Anden-Pflanze ist vom Klimawandel betroffen.

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Etwa seit dem Jahr 2000, meint Marino Ayaviri, habe sich das Klima verändert. Vor allem der Niederschlag sei sehr viel unregelmäßiger geworden. Für Bauern wie ihn eine Katastrophe. „Früher fiel der Regen zu seiner Zeit. Heute regnet es irgendwann. Und wenn, dann dringt der Regen nicht in die Erde ein, sondern fließt ab.“ Marino ist Quinoa-Produzent, wie fast alle Einwohner von Llica, einem Dorf in den bolivianischen Anden.

Es liegt auf 3.700 Metern Höhe zwischen zwei Salzseen, dem Salar de Uyuni und dem Salar de Coipasa. Eigentlich die perfekten Anbaubedingungen für Quinoa, sagt Marino. Schon seine Großeltern haben vom Anbau der Pflanze gelebt, die auch Inkareis genannt wird. Aber inzwischen seien die Ernten nicht mehr so gut wie früher.

Besonders schlimm war es im letzten Jahr, sagt Marino. Die Regenzeit war viel zu trocken, nur im Januar kamen ein paar Tropfen. Aus seinen zehn Hektar Land war kaum etwas herauszuholen. 80 Prozent seiner Ernte habe er verloren, erzählt er. Manche seiner Kollegen sogar noch mehr.

Quinoa als Antwort auf Klimawandel und ErnährungsunsicherheitDabei sollte doch gerade der Quinoa-Anbau eine Antwort auf die Probleme sein, die die Erderwärmung verursacht. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte das Jahr 2013 zum Internationalen Jahr der Quinoa. Damit sollte die „globale Aufmerksamkeit“ auf die Bedeutung des Getreides für die Ernährungssicherheit und die Beseitigung von Armut gelenkt werden.

Die Pflanze, deren Blätter als Salat oder Gemüse und deren Samen als reisähnliches Getreide verzehrt werden, könne in Zeiten des Klimawandels einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung leisten.

Denn Quinoa ist eine recht anspruchslose Pflanze, kommt mit wenig Wasser aus. Sie ist somit auch zum Anbau in klimatisch schwierigen Regionen geeignet - so wie im bolivianischen Hochland. Von April bis Oktober regnet es hier praktisch gar nicht. Nennenswerte Niederschläge gibt es normalerweise nur zwischen November und März. Doch wenn sie auch dann ausbleiben, wächst selbst eine so widerstandsfähige Pflanze wie die Quinoa nicht.

„Wir haben versucht, mithilfe von Zisternen selbst zu bewässern, aber das Ergebnis war schlecht. Wenn es keinen Regen gibt, gibt es keine Ernte“, sagt Marino. Die Bauern im bolivianischen Hochland produzieren in der Regel auf Subsistenzniveau: wenige Hektar Land, ein paar Lamas oder Schweine. Was sie produzieren, reicht gerade so zum Leben. Ein Ernteausfall wie im letzten Jahr ist für sie existenzbedrohend.

„Meine zwei ältesten Söhne waren beinahe mit der Universität fertig, doch dann kam die Trockenheit“, erzählt Marino. „Sie waren sich der Lage bewusst und haben gesagt: Ich muss helfen. Das sind zwei professionelle Arbeitskräfte, mit mir zusammen sind wir drei. So haben wir es gemacht. Wenn sie nicht wären, könnte ich mich nicht mehr selbst ernähren.“ Andere Familien traf es noch härter. Sie mussten ihre Kinder fortschicken, damit sie woanders nach Arbeit suchen.

Dieses Schicksal könnte in Zukunft noch viel mehr Menschen treffen. In einem aktuellen Bericht warnt die Weltbank davor, dass eine ungebremste Erderwärmung in den nächsten 15 Jahren zusätzliche 100 Millionen Menschen in die Armut treiben könnte - eine deutliche Warnung kurz vor Beginn des Weltklimagipfels in Paris.

Eine der Hauptursachen dieser befürchteten Entwicklung sieht die Weltbank in massiven Ernteausfällen. So könne der Klimawandel dazu führen, dass 2030 bis zu fünf Prozent der weltweiten Landwirtschaftserträge verloren gehen, 2080 sogar bis zu 30 Prozent. Die Folgen wären Gewinneinbußen bei den Bauern und - bedingt durch das geringere Angebot - höhere Lebensmittelpreise. Das wiederum würde in vielen Regionen der Welt zu einem Anstieg der Armut führen.

Gerade da sollte die Quinoa Abhilfe schaffen. Das Getreide sei inzwischen unter anderem in den Vereinigten Staaten, Marokko, Kenia und Indien erfolgreich angebaut worden, so die Welternährungsorganisation FAO - mit Aussicht auf eine kommerzielle Produktion im großen Maßstab. Eine Pflanze der Zukunft.

Doch ausgerechnet in Bolivien, das zusammen mit Peru die weltweite Produktion anführt, können sich viele Bauern nicht mehr auf ihre Quinoa verlassen. Dabei liegen zwischen Glück und Unglück manchmal nur wenige Kilometer, wie Eliodoro Aguirre erzählt. Er war Lehrer in Llica – und Quinoa-Bauer. „Der Regen ist nicht mehr so gleichmäßig wie früher. Im Norden von Llica hat es in den ersten Februartagen ziemlich stark geregnet. In Llica selbst fast gar nicht.”

Eliodoro steht mitten in einem Quinoa-Feld. Immer wieder betrachtet der 79-Jährige einzelne Pflanzen. „Die hier ist schön, so waren sie früher. Das ist die natürliche Größe. In einem guten Jahr müssten alle Pflanzen so aussehen. Aber hier ist es sehr unausgeglichen, es gibt auch viele winzige Pflänzchen. Eine gute Pflanze bringt fast ein Kilo Quinoa. Aber die kleinen Pflänzchen hier bringen viel, viel weniger.”

Die Extreme werden extremerOb die Erfahrungen der Bauern in Llica tatsächlich direkt auf den Klimawandel zurückzuführen sind, ist wissenschaftlich schwer zu belegen. Dazu bräuchte es verlässliche Daten über einen langen Zeitraum. Doch die nächste Messstation des bolivianischen Wetterdienstes ist knapp 150 Kilometer weit entfernt.

Allerdings ist die Tendenz in Bolivien - wie in vielen anderen Ländern - klar. „In Bolivien herrschen generell extreme Klimabedingungen. Und diese Extreme verstärken sich noch“, so Jan Spickenbom, Klimaexperte bei der bolivianischen Umweltorganisation FAN. „Einerseits intensiviert sich die Trockenzeit, sie wird also noch trockener und dauert außerdem länger an. Und auf der anderen Seite wird die Regenzeit tendenziell kürzer und heftiger.“

Durch die längere Trockenzeit müssen die Bauern länger als früher mit der Aussaat warten. Und wenn der Regen dann einsetzt, kommt oft zu viel Wasser auf einmal für den trockenen Boden. Es fließt ab und sammelt sich an einzelnen Stellen.

Wohl auch dadurch entwickeln sich die Pflanzen vielfach extrem unterschiedlich - und das innerhalb weniger Meter. Gleichzeitig verschiebt sich die Erntezeit nach hinten, dadurch steigt das Risiko, dass es nachts friert und der Frost die Pflanzen beschädigt.

Eliodoro Aguirre begutachtet die Pflanzen. Teilweise sind sie dunkelgrün und gut einen Meter hoch. Aber in vielen Bereichen ragen nur ein paar wenige mickrige Quinoa-Büschel aus dem Boden. „Diese Stelle muss trocken geblieben sein, bis tief in den Boden hinein. Die Saat ist nicht feucht geworden, deshalb ist hier gar nichts gewachsen”, sagt er.

Es ist eines der wenigen Felder in der Umgebung von Llica, das derzeit überhaupt bewirtschaftet wird. Viele Bauern haben dieses Jahr gar nicht gesät, auch Eliodoro nicht. Nachdem er im letzten Jahr riesige Ernteausfälle hatte, wollte er nicht schon wieder umsonst säen. „Es gab keine Stelle, wo man die Samen hätte ausbringen können. Es war knochentrocken”, sagt er.

Eliodoro vermutet, dass diese Entwicklung zusammenhängt mit dem zu schwachen Glauben an die Mutter Erde, die Pacha Mama. Und an das alte indigene Ritual, den Regen zu rufen. „Man opfert ein Lama und ein Lamm auf dem Gipfel des Berges. Das Lama ist ein Geschenk an die Berge, die den Regen anziehen. Und das Lamm soll den Wind vertreiben”, sagt Eliodoro.

„Das haben unsere Vorfahren mit viel Ehrfurcht getan. Wer dieses Ritual nicht mitmachte, beging eine Sünde. Deshalb war der Regen damals konstant, die Ernte war reich. Heute werden die Rituale nicht mehr mit diesem starken Glauben vollführt. Es wird schon wieder regnen, sagen sie. Aber man sieht ja, dass es nicht so ist."

Für ihn ist Quinoa das Lebensmittel seiner Vorfahren, eine Pflanze der Zukunft sieht er darin nicht. Jedenfalls nicht in Zeiten des Klimawandels.

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