Plastic Whale Die Müllfischer von Amsterdam legen ab

In den Amsterdamer Grachten schwimmen Unmengen an Plastik. Die Müllfischer von Plastic Whale machen sich auf, das zu ändern.

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Marius Smit weiß, wie man sich inszeniert. Der Mann mit den längeren Haaren und dem wilden Bart (auf dem Foto in der Mitte) nennt sich "den ersten Plastikfischer der Welt". Wohl völlig zurecht: Mit einer kleinen Bootsflotte reinigt er die Kanäle von Amsterdam, die sogenannten Grachten, von Plastikflaschen und sonstigem Müll.

"Ich bin mit meiner Frau viel um die Welt gereist", erklärt er. Dabei habe ihn der Plastikmüll an jeden Strand verfolgt: "Einmal haben wir in Borneo an einem Sandstrand übernachtet. Es gab nachts ein Unwetter, Sturm, Wellen. Und am nächsten Tag war der Strand nicht mehr zu sehen.“ Stattdessen hatte sich eine Lage Plastikmüll kilometerweit ausgebreitet.

Smit wollte seinen Job im Marketing aufgeben und etwas Sinnvolles machen. In den – damals noch neuen – Sozialen Medien kündigte er an, ein Boot aus Plastik bauen zu wollen – auch wenn er nicht wisse, wie man es steuere, geschweige denn konstruiere.

Es meldeten sich zahlreiche Menschen, die die Idee gut fanden und mithelfen wollten. Daraus entstand schließlich die Organisation "Plastic Whale". Zunächst gab es Gespräche, Planungen – parallel dazu juckte es Smit aber in den Fingern. Er wollte direkt etwas machen. Deshalb kreierte er mit einem Designer, der sich ebenfalls bei Plastic Whale engagierte, ein ausgefallenes Plakat, das zum „traditionellen Amsterdamer Plastikfischfest“ einlud.

"Wir fanden es witzig, dem Ganzen den Anstrich zu verpassen, als hätte es das schon immer gegeben", sagt Smit. "Es sollte so wirken, als wäre es ein alter, traditioneller Brauch." Über Facebook verbreitete er den Aufruf, dem immerhin 450 Menschen folgten. Das war 2011. Und Smit dürfte erstmals das Potenzial seiner Ideen erkannt haben, große Gruppen nach Plastik fischen zu lassen.

Im folgenden Jahr kamen 1200 Menschen. Zuvor hatte die Kaffeekette Starbucks angefragt, ob man nicht mit Mitarbeitern auf dem – mittlerweile fertiggebauten – Plastikboot auch schon vor dem "traditionellen" Fest plastikfischen könne. So entstand das Geschäftsmodell von Plastic Whale.

35.000 Plastik-FlaschenMittlerweile sind es drei Boote mit Elektromotor, die – je nach Stabilität – aus zwischen 60 und 90 Prozent Plastik bestehen. Ganz ohne Holz und Fiberglas geht es nicht. Elf Lizenzen hat Smit, mit denen er die Grachten befahren kann, also sollen es in naher Zukunft auch elf Boote werden. An den Baukosten beteiligen sich Werbepartner – eine Bank, ein reicher Anwohner, der Reinigungsmittelhersteller Ecover – und dürfen im Gegenzug ihren Schriftzug auf dem Boot anbringen.

Zahlreiche Unternehmen buchen die Bötchen, um Mitarbeiter Plastik fischen zu lassen. Die Mitarbeiter können sich einen Wettkampf darum liefern, wer die meisten Müllsäcke füllt. Das schweißt zusammen und gibt der Firma einen grünen Anstrich.

Immerhin 35.000 Flaschen hat Plastic Whale so gesammelt. Der Sponsor Ecover nimmt diese ab und recycelt sie, um Verpackungen für die eigenen Reinigungsmittel herzustellen. Der restliche Müll geht an die Stadtreinigung.

Cleanfishing statt GreenwashingMindestens genauso wichtig ist allerding die Botschaft, die Plastic Whale in die Unternehmen trägt: Wer einmal Plastikschnipsel aus den Kanälen sammelt und weiß, wie anstrengend das ist, der schmeißt Müll nicht mehr achtlos weg. An den Kanälen sieht gerade im Sommer ein großes Publikum die Reinigungsbemühungen. Auch das wirkt.

Plastic Whale hat sogar ein Skateboard aus den Verschlüssen der eingesammelten Flaschen gebaut, um auf das Müllproblem aufmerksam zu machen. Das Brett kam allerdings so gut an, dass es nun in Serie geht: "Wir sind die erste Skateboard-Bäckerei der Welt", sagt Smit und spielt damit auf die Schmelztechnik an, die bei Herstellung verwendet wird.

Smit würde seine Idee gerne exportieren. Aber sind Müllsammler auf Rhein und Main überhaupt vorstellbar? Die Niederlande haben kein Flaschenpfand, Amsterdam chronischen Mülleimer-Mangel und die Grachten kaum Strömung. Ideale Bedingungen für Plastikfischer. Aber auch wenn Plastic Whale kein Exportschlager wird: Den Titel des „ersten Plastikfischers der Welt“ kann Smit niemand mehr nehmen.

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