Paradox Weniger Fliegen schützt das Klima nicht

Viele wollen nachhaltiger leben. Eine neue Studie zeigt: Weniger Fliegen und Sparlampen helfen nicht dabei. Der Grund sind EU-Maßnahmen zum Klimaschutz.

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Es ist eigentlich paradox: Seit Jahren steht vor allem das Fliegen als Klimakiller in der Kritik. Wann immer es darum geht, wie man seinen Alltag umweltfreundlicher gestalten kann, wird von Umweltverbänden der Verzicht auf das Flugzeug angemahnt. Badeurlaub an der Ostsee also statt Sangria am Strand in Mallorca.

Nun zeigt eine Untersuchung der englischen Universität von East Anglia, dass der Flugverzicht die Erderwärmung nicht bremst. Genauso verhält es sich auch mit Umstieg von Glüh- auf Energiesparlampen.

Was ersteinmal  unlogisch klingt, erklärt sich laut dem Leiter der Studie, dem Umweltökonomen Grischa Perino, so: Zwar stößt ein vollbesetztes Flugzeug auf der Strecke von Hamburg nach München pro Passagier und Kilometer mehr als doppelt viel CO2 aus wie ein Auto. Aber: Jedes Kilogramm CO2, das Flugzeuge in Europa ausstoßen, wird über das europäische Emissionshandelssystem wieder ausgeglichen. Klimagase, die Autos oder Busse ausstoßen, sind nicht in das EU-Handelssystem eingebunden. Wer also auf das Auto verzichtet, erspart dem Klima wirklich Schaden.

Und das sind die Gründe im Detail:

Die Idee hinter dem Emissionshandelssystem ist, dass der Klimadreck, den die Industrie in reichen Ländern produziert, unter anderem in ärmeren Ländern wieder abgegolten werden kann. Die Fluggesellschaften kaufen also Verschmutzungsrechte. Von diesem Geld werden zum Beispiel in Indien Biogasanlagen gebaut oder Wälder in Afrika gepflanzt. Aber auch nach Deutschland fließt ein Teil des Geldes. Nämlich in einen Klimafonds, der zum Beispiel Projekte zur Einführung der Elektromobilität fördert. Autoabgase werden nicht mit grünen Initiativen gekontert.

Noch ein zweiter, etwas komplexerer Effekt kommt hinzu. Verzichtet man auf den Flug, kann die Verschmutzungsrechte ein anderes Unternehmen in Europa kaufen. Zum Beispiel der Betreiber eines deutschen Kohlekraftwerks. Das beim Fliegen gesparte CO2 kommt also einfach an anderer Stelle in die Luft.

Schließlich steckt noch ein dritter Gedanke hinter dem Handelssystem: Indem die EU-Politiker einen Preis für CO2 einführten, hofften sie, die Unternehmen dazu zu bringen, klimaschonende Technik zu installieren. Zum Beispiel CO2-Filter in Kraftwerken. Für Airlines wäre es auch denkbar, sauberen Biosprit auf ihren Flügen einzusetzen. Inzwischen sind die Preise für die Zertifikate aber wegen eines Überangebotes so stark gesunken, dass es für Unternehmen billiger ist, dem Klima zu schaden, als neue Technik einzusetzen.

Die Politik hat das Problem erkanntWas man Politikern in Brüssel und Berlin zu Gute halten muss: Sie arbeiten derzeit daran, dass Handelssystem zu reformieren, so dass es dem Klima wirklich hilft. Unter anderem könnten sie die Anzahl der Zertifikate reduzieren. Das würde die CO2-Papiere verteuern, so dass es sich für die Industrie wieder lohnt, in klimafreundliche Technik zu investieren.

Derzeit gilt aber noch: Ob man nun fliegt oder nicht, ändert nichts an der absoluten Menge Treibhausgase, die in Europa ausgestoßen wird. Und da auch Kohlekraftwerke Strom liefern, der unter das EU-Handelssystem fällt, bringen auch effizientere Haushaltsgeräte keine wirklichen Gewinne für das Klima – die Stromrechnung drücken sie natürlich dennoch.

Wer also wirklich etwas für das Klima tun will, sollte dort ansetzen, wo der Klimahandel der EU nicht greift. Unter anderem beim Straßenverkehr oder der Landwirtschaft. Weniger Auto zu fahren, hilft also und auch, weniger Fleisch zu essen. Insgesamt deckt das europäische Handelssystem für Emissionszertifikate rund die Hälfte des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes auf dem Kontinent ab.

Fazit: Nimmt man von Hamburg nach München also eher das Flugzeug als das Auto? Di Antwort ist eine dritte Möglichkeit. Denn weil Flugzeuge neben CO2 auch andere schädliche Gase ausstoßen, fährt man die Strecke von München nach Hamburg am umweltfreundlichsten mit dem Zug.

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