Ökotopia Wege in die nachhaltige Stadt

Wie sehen die Städte der Zukunft aus? Zukunftsforscher Eike Wenzel beschreibt die wichtigsten Trends, die sich heute schon beobachten lassen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Von Eike Wenzel. Er gilt als einer der renommiertesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher und hat sich als erster deutscher Wissenschaftler mit den LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) beschäftigt. Er gründete und leitet das Institut für Trend- und Zukunftsforschung und ist Chefredakteur des Zukunftsletters. Zusammen mit Börsenguru Dirk Müller gibt er den Börsenbrief Cashkurs Trends heraus. Dies ist der erste Teil seiner Kolumne, wie der Weg zur nachhaltigen Stadt der Zukunft gelingt.

Windräder an jeder Hauswand. Gigantische Batterieklötze, so genannte Superkapazitoren, die dezentrale Energie für den Stadtteil herstellen. Wasserstoff für die Heizung, Wasserstoff in den Tanks der Autos, die lautlos und emissionsfrei durch die Innenstädte gleiten. Metropolis für Superökos. Die Latte-Macchiato-Familien sind an ihrem ökologischen Fußabdruck kaum noch zu erkennen, so schadstofffrei verläuft das Großstadtleben des Jahres 2050.

Werden so wirklich die Städte unserer Zukunft aussehen? Eine hübsche Utopie. Tatsache ist, dass immer mehr Menschen, gerade junge Familien, in die Metropolen zurückdrängen. Sie glauben auch an die sinnstiftende Verdichtung: Wer zentral wohnt, verbraucht weniger Mobilitätszeit, muss weniger in Mobilität investieren, hat die Hand am Puls der aktuellen Trends und kann sich mühelos vernetzen. Wer fährt heute noch auf die Grüne Wiese zum Wocheneinkauf? Wir betreiben 3rd-Place-Shopping: Dort wo wir leben, wollen wir auch konsumieren. Mehr und mehr entscheidet der Ort, an dem ich lebe, darüber, ob es mir möglich ist, ein genussvolles, nachhaltiges und modernes Leben zu führen.

Ökostadt-Mythen und der Urbanisierungsrausch der kommenden JahreStädte sind das aufgeschlagene Buch unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft. In den Städten verdichtet sich unser Lebensentwurf, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Städte sind in Eisen und Stein gegossene Sinnbilder. Stattdessen jetzt: Gleißende Solarpanele soweit das Auge reicht. Wie werden wir in der Zukunft wohnen? Wie können Metropolen zu regenerativen Ökotopias ausgebaut werden?

Was offensichtlich ist: im weltweiten Klima- und Ressourcenschutz spielen Metropolen eine Schlüsselrolle. Städte bedecken zwar nur drei Prozent der Erdoberfläche, aber sie verbrauchen rund 80 Prozent der weltweiten Ressourcen. Gleichzeitig gewinnen sie als Wirtschafts- und Lebensraum immer weiter an Bedeutung. Je nach Entwicklungsstand eines Landes werden zwischen 55 und 73 Prozent des nationalen Bruttosozialprodukts in Städten erwirtschaftet. Weltweit leben schon heute über 3,5 Milliarden Menschen, also mehr als die Hälfte der Menschheit, in städtisch geprägten Räumen, viele davon in einer von weltweit 50 Megastädten mit über fünf Millionen Einwohnern und einer Gesamteinwohnerzahl von über 500 Millionen. Bis zum Jahr 2025 werden in China 221 Riesenstädte mit mehr als einer Million Einwohner gezählt – und acht Megastädte mit mehr als zehn Millionen Menschen.

Bislang gibt es definitiv mehr Ökostadt-Mythen als tatsächlich in die Tat umgesetzte Projekte. Denken wir nur an Dongtang-City: Sie sollte die erste CO2-neutrale Millionenstadt dieser Welt werden. Dongtang-City versprach schon vor einem Jahrzehnt die große, finale Lösung. Eine Metropole im aufstrebenden China (Shanghai), die ein CO2-neutrales Leben und  Wirtschaften erlaubt. Zur Expo 2010 in Shanghai sollten bereits 10.000 Einwohner das Ökotopia bevölkern, 2050 sollten 500.000 Menschen darin leben. Doch bislang existiert Dongtang-City nur auf dem Reißbrett – kleinere Modellstädte gibt es in China inzwischen jedoch zuhauf.

Vom Tech-Konzern zum StadtplanerIn Japan gibt es die Visionen bald zum Anfassen: Der Technologiekonzern Panasonic vollzieht seinen Abschied vom Geschäft mit der Unterhaltungselektronik hin zu grüner Spitzentechnologie durch die Gründung einer Ökostadt. Denn mit mit DVD-Playern und Stereoanlagen gibt es keine großartigen Gewinnmargen mehr zu erzielen.

Deshalb jetzt Ökostadt-Bau: Die Fujisawa Sustainable Smart Town, 50 Kilometer außerhalb von Tokio,  soll im kommenden Jahr in einem ersten Bauabschnitt fertig sein. Geplant ist das jedoch nicht als großer Entwurf, sondern erst einmal als so etwas wie eine Öko-Konzept-Kommune, bei der 1.000 Haushalte auf 19 Hektar Fläche leben. Wo noch bis vor kurzem Kühlschränke gefertigt wurden, soll künftig das nachhaltige Stadtleben von morgen vorgelebt werden. Natürlich sind die Einwohner hier ausschließlich mit Elektrofahrzeugen unterwegs und beziehen ihre Energie aus SmartGrids.

Restoration-Economy: Jede Stadt kann mehrere Leben habenEine Meisterstrategie für die Ökostadt der Zukunft wird in den kommenden Jahren sicherlich die Restoration Economy sein: Vorhandenes wird umgenutzt und ökologisch optimiert. Storm Cunningham, der Guru der Restoration Economy, geht davon aus, dass künftig pro Jahr drei Billionen US-Dollar in die Restauration von Natur und umbauten Raum investiert werden. New York City hat mit seinen großartigen Highline-Parks gezeigt, dass man auf den Trümmern einer alten Stadtbahn-Infrastruktur die Wiederbegrünung eines städtischen Kerns in die Tat umsetzen kann.

Auch Sydney, mit 3,64 Millionen Einwohnern die größte Stadt des australischen Kontinents, setzt für seine ehrgeizigen Energieziele auf die „Restoration Economy“. Bis 2030 soll die urbane Energienutzung um 70 Prozent und der Wasserverbrauch um 30 Prozent reduziert werden. Sydneys Stadtvisionäre verbinden diese Ziele direkt mit der klugen Umnutzung von 44 alten Gebäuden in der Innenstadt. „Old on the outside, new on the inside“ – die gewachsene Architektur bleibt erhalten, doch im Inneren der Gebäude (und auf den Dächern) sollen Kleinkraftwerke und XXL-Batterien die Energiewende einleiten.

Kopenhagen rules: Wie nachhaltige Urbanität gelingtÖkologische Stadtzukunft gibt es schon länger in Kopenhagen zu bestaunen. Kopenhagen ist wahrscheinlich die Welthauptstadt der Zweiradmobilität. Schon zwischen 1996 und dem 2004 fiel die Zahl der Autofahrer von 42 auf erstaunliche 26 Prozent. Die Zahl der Radler in Kopenhagen übersteigt mit 36 Prozent mittlerweile die Zahl der PKW-Nutzer. Nachhaltige Projekte paaren sich mit kühner Mehrfachnutzung. Bis 2016 soll in Kopenhagens Innenstadt eine 100 Meter hohe und mehrzweckfähige Müllverbrennungsanlage installiert werden, in der städtischer Müll recycelt werden soll. Das grüntechnologische Wunderwerk dient im Sommer darüber hinaus als Parkanlage und im Winter als Skihang.

Trends wie Big Data und das Internet der Dinge machen aus dem städtischen Raum eine intelligente Oberfläche für die Inszenierung von Großstadtleben. Die intelligenten Mülleimer in der Londoner City spenden WLAN und Bluetooth, schlagen Alarm, wenn in ihnen eine Bombe deponiert wurde und dienen auch als Müllentsorgungsbehälter. Aber gerade an der Entwicklung von Kopenhagens „Finger Plan“ lässt sich gut ablesen, was kluge Stadtplanung in der Zukunft bedeutet: Schwerpunktlegung auf das Transport- bzw. Mobilitätsproblem.

Da die räumliche Ausdehnung einer Metropole bislang ein unumgehbares Merkmal ist, haben die dänischen Stadtplaner die wahrscheinlichen Expansionswege mutig antizipiert und die Verkehrsplanung danach ausgerichtet. Wie die fünf Finger einer Hand erstrecken sich große Verkehrsströme aus dem Kopenhagener Zentrum heraus. Die Verkehrsinfrastrukturen dafür wurden von den Verkehrsplanern im Vorhinein geschaffen. Vorteil dieses Konstrukts: Es kommt zu keinen Überlastungen, die Ausweitung findet auf strukturierte Weise statt, Grünflächen sind in einen solchen Erweiterungsplan problemlos einzubauen. Eine Studie der Weltbank (PDF) zeigt, wie das Kopenhagener Modell kongeniale Anhänger unter anderem in Singapur fand, das mit erheblichen Öko- und Raumproblemen zu kämpfen hat.

Städtebauliches Greenwashing überwiegtDer schnelle Umbau der chinesischen Großstadtmoloche in regenerative Städte findet jedoch einstweilen nur in der Theorie statt. Redet man mit Fachleuten in China, fällt eine Bestandsaufnahme äußerst bescheiden aus. „Keine der hier geplanten ‚Eco-Cities’ verdient es am Ende tatsächlich so bezeichnet zu werden,” sagt beispielsweise Kathrin Albrecht von der Gesellschaft für ökologische Design-Beratung, purple leaf, die seit einigen Jahren in Peking ansässig ist.

Fernab von den schicken Ökobau-Konferenzen in Europa und Nordamerika wird bei den Bauvorhaben im Reich der Mitte Greenwashing betrieben, was das Zeug hält. Emissionsfreie Holzhochhäuser, Bürotürme im Passivbau, alles scheint möglich – am Ende stellt sich jedoch heraus, dass niemand die höheren Kosten für Niedrigenergie-Architektur zahlen möchte. Weiteres Manko in China, wo gerade ein ungekannter Bauboom tobt: Deutsche und andere internationale Unternehmen schreiben sich das nachhaltige Bauen auf die Fahnen – liefern aber oft veraltete Technologien.

In Kürze folgt der zweite Teil dieser Kolumne: So gelingt die nachhaltige Stadt der Zukunft - eine To-Do-Liste in zehn Trends.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%