Not macht erfinderisch Wie Rohstoffknappheit Innovationen vorantreibt

Die Knappheit an natürlichen Rohstoffen muss kein Nachteil sein. Sie ist sogar eine Chance für erfolgreiche Innovationen.

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Der Satz ist altbekannt: Not macht erfinderisch. Sicher, eigentlich möchte man nicht erst in Not geraten, um alle Innovationskräfte zu mobilisieren.

Gleichwohl sind Geschichte und Gegenwart voll von Beispielen, wie ein Überfluss an natürlichen Ressourcen zu einem Erlahmen von Innovationskraft und langfristig zu verminderter Wettbewerbsfähigkeit führt.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit ist in vielen Staaten eher rückständig, die über reiche Vorkommen an Rohstoffen verfügen.

Überfluss an Ressourcen als ProblemDas Phänomen ist als „Ressourcenfluch“  bekannt. Es beschreibt einen scheinbaren Widerspruch: Demnach bleiben Länder in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurück, die reich mit natürlichen Ressourcen ausgestattet sind. Wer wenig Ressourcen hat, schlägt sich ökonomisch meist besser.

Die Ursachen für dieses Phänomen sind vielschichtig.

Häufig gelangen die Profite aus dem Handel mit Rohstoffen wie Erdöl, Erzen oder Holz nur in die Hände korrupter Eliten. Die Regierungen legen ihrer Bevölkerung keine Rechenschaft über die Einnahmen aus den Rohstoffgeschäften ab. Die Gewinne verschwinden in den Taschen der Mächtigen, was übrig bleibt, ziehen Unternehmen im Ausland ab, die vorher in die Ressourcenausbeutung investiert haben.

Was folgt ist ein Teufelskreis aus Misswirtschaft, Korruption und Ungleichheit an Bildung und Information. Der wiederum verhindert, dass die Nutzung der natürlichen Ressourcen in diesen Ländern vorrangig zum Aufbau von Infrastrukturen, verbesserter Bildung und Gesundheit, und letztlich eigenen Produktions- und Konsumkapazitäten genutzt wird.

Besonders betroffen sind die Länder Afrikas, aber auch in Asien und Südamerika finden sich Beispiele.

Dass es auch besser geht, zeigt das Beispiel Norwegens, wo die Einnahmen aus der Erdölgewinnung in einen Fonds fließen, der für soziale Zwecke genutzt wird.

Niemand ist vor dem Ressourcenfluch geschütztDoch das Phänomen des Ressourcenfluchs ist nicht nur auf Entwicklungsländer mit schwachen Regierungs- und Verwaltungs-Strukturen beschränkt. Als in den 1960er-Jahren in den Niederlanden große Erdgasvorkommen entdeckt und erschlossen wurden, konzentrierten sich die Investitionen auf den neuen boomenden Sektor.

Know-how, Arbeitskräfte und Kapital wurde in die Erdgasförderung gesteckt. Mit der Folge, dass weniger in andere Industrien investiert wurde. Die hatten daraufhin erheblich zu kämpfen, um international mithalten zu können.

Die Symptome der „holländischen Krankheit“ lassen sich auch in anderen Ländern beobachten: In den vergangenen Jahrzehnten zum Beispiel wiederholt in Venezuela und aktuell in jenen Regionen, die hauptsächlich vom Erdöl abhängig sind.

So brechen in Alaska und einem halben Dutzend weiterer Bundesstaaten der USA die Einnahmen in Folge sinkender Ölpreise weg, erhebliche Einschnitte öffentlicher Ausgaben sind unvermeidlich.

Die natürlichen Ressourcen der Welt sind hauptsächlich in wenigen großen Flächenstaaten zu finden: Russland, Kanada, China, USA, Brasilien und Australien.

Doppelstrategie als erfolgreiche Antwort auf die Rohstoff-Frage?Von diesen sind China und die USA bereits Nettoimporteure bezogen auf die Menge gehandelter Rohstoffe und Waren. Die anderen Flächenländer erwirtschaften mit ihren Ressourcenexporten noch wesentliche Teile ihres Einkommens.

Russland, Kanada, Brasilien und Australien werden auch künftig erheblich zur Rohstoffversorgung der Welt beitragen, doch werden diese Länder ihre Abhängigkeit von diesen Exporten und insbesondere von einigen wenigen sehr wahrscheinlich deutlich reduzieren, um ihre eigene Wirtschaft zu stabilisieren.

Die meisten Länder auf dem Globus sind Nettoimporteure von Rohstoffen. Insbesondere Länder mit einem ausgeprägten Industriesektor verfolgen deshalb eine doppelte Strategie.

Sie versuchen zum einen, die Versorgung mit preiswerten Rohstoffen zu garantieren, indem sie mit Lieferländern bilaterale Verträge schließen und über Direktinvestitionen den Zugriff auf Land und Vorkommen sichern. Zum anderen versuchen sie, sich von Importen unabhängig zu machen, indem sie die Effizienz im Umgang mit den eingesetzten Ressourcen steigern.

So hebt zum Beispiel die Rohstoffstrategie der Bundesregierung auf den möglichst ungehinderten Zugang zu Ressourcen in anderen Ländern durch die Verringerung von Handelsbarrieren ab.

Zugleich unterstreicht sie die Bedeutung der Materialeffizienz und des Umstiegs auf sekundäre Rohstoffe aus dem Recycling. Ein einfaches Beispiel dafür ist Papier: Für jede recycelte Zeitung muss kein neuer Baum gefällt werden. Online Zeitungen können noch mehr sparen, wenn Server und Computer nicht zuviel Energie schlucken.

Konflikte um Rohstoffe sind vorprogrammiertDie gleiche Doppelstrategie verfolgen die Politiker auf EU-Ebene. Dazu zählen das deutsche Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess) und die Flaggschiffinitiative der EU Kommission für ein ressourcenschonendes Europa.

Das Problem: Nicht beide Strategien haben langfristig Aussicht auf Erfolg. Die erste Strategie der Rohstoffsicherung durch Zugriffsgarantien läuft generell auf eine wachsende Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen hinaus.

Zwar können Rohstoffpartnerschaften, mehr Transparenz und Nachweispflichten entlang der Versorgungskette zu weniger sozial- und umweltbelastenden Praktiken in Bergbau und Landwirtschaft beigetragen.

Dennoch wächst mit dem sich ausweitenden „Abstecken von Claims“ das Risiko von lokalen bis regionalen Konflikten um Landnutzung, Wasser und eine lebenswerte Umwelt.

Die zweite Strategie der Ressourceneffizienz gepaart mit dem Umstieg auf Recycling vermeidet nicht nur jene Konflikte, sie ist auch innovationsfördernder.

Ressourcen effizienter einzusetzen erfordert mehr Umsicht, mehr Einsicht, mehr Analyse und insofern ein Mehr an Know-How. Gleiches gilt für das Erschließen von Verwertungsmöglichkeiten für Abfälle. Neue technologische und organisatorische Lösungen sind die Folge.

Ressourceneffizienzsteigerung erfordert und fordert innovatives Denken. Politische Programme zur Steigerung der Ressourceneffizienz zielen explizit auf die Förderung von Innovationen, nicht zuletzt, um damit die Wettbewerbsfähigkeit international zu stärken.

Der beste Rohstoff ist der, den man nicht benötigtBemerkenswerter Weise sind es reiche Hochtechnologieländer mit begrenzten eigenen natürlichen Ressourcen wie Deutschland, Japan und Südkorea, die politische Programme zur weiteren Steigerung ihrer Ressourceneffizienz vorantreiben.

Sie wollen sich damit nicht nur unabhängiger machen von Rohstoffimporten aus teilweise unsicheren Herkunftsländern, sondern damit auch ihren technologischen Vorsprung halten und weiter ausbauen.

Ihre Chance im internationalen Wettbewerb liegt nicht in der massenhaften Produktion von Billigwaren, sondern in wissensbasierten innovativen Lösungen zur Verbesserung von Produktions- und Lebensbedingungen im eigenen Land und in den Empfängerländern ihrer Produkte und Dienstleistungen.

Dabei verdichten sich die Hinweise, dass die Innovationskapazität insbesondere in jenen Ländern besonders hoch ist, die bereits eine hohe Materialproduktivität aufweisen.

Ihre Rohstoffversorgung sichern diese Länder zum einen durch Diversifizierung und zum anderen durch Investitionen in Forschung und Ausbildung. Denn der beste Rohstoff ist der, den man gar nicht benötigt.

Das Wissen über technologische und organisatorische Maßnahmen, die Rohstoffe einsparen oder ersetzen, reicht von innerbetrieblichen Maßnahmen der Maschinenwartung, bis hin zum Produktdesign und der Kooperation entlang von Lieferketten.

Öko-Innovationen (siehe auch hier) zur Steigerung der Ressourceneffizienz bieten aber nicht nur Chancen der Kosteneinsparung. Für Unternehmen eröffnen sich auch neue Geschäftsfelder im In- und Ausland.

Innovationskraft wächst mit der RessourceneffizienzWenn sich der Rohstoffeinsatz nicht vermeiden lässt, dann ist der zweitbeste Rohstoff jener, der aus den eigenen Produkten entspringt, also das Recycling.

Welche Primär- und Sekundärrohstoffe mittel- und langfristig auch unter Nachhaltigkeitsbedingungen verfügbar sein werden, wird von verschiedenen Faktoren bestimmt.

Bei ihrer strategischen Planung sollten Unternehmen sich daher nicht allein von aktuellen Preistrends leiten lassen, sondern die langfristigen Megatrends der Ressourcennutzung beachten.

Hier kann es zum Beispiel helfen, dass Produkte von Anfang an so konzipiert sind, dass sich die eingesetzten Rohstoffe gut recyceln lassen und ein Kreislauf entsteht. Das Ergebnis sind innovative, zukunftsfeste Produkte.

Innovative Geschäftsfelder werden auf längere Sicht nur Erfolg haben, wenn die damit verbundenen Rohstoff- und Abfallflüsse zum sozio-industriellen Stoffwechsel der Zukunft passen.

Knappheit an natürlichen Rohstoffen sollte deshalb nicht als Mangel, sondern Chance gesehen werden. Politische Strategien, die auf eine höhere Verfügbarkeit billiger Importrohstoffe abzielen, unterminieren langfristig die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.

Stattdessen sollte Politik verstärkt die Forschung und Entwicklung zur effizienteren und regenerativen Material- und Energienutzung fördern. Unternehmen sind gut beraten, wenn sie über Ressourceneffizienz und Recycling nicht nur ihre Versorgung sichern, sondern auch ihre Innovationskraft stärken.

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Bei der Frage, welche Risiken und Chancen sich hieraus für die Geschäftsfelder von Firmen und Branchen ergeben und wie die ungenutzten Potenziale mit aktuellen Forschungswissen gehoben werden können, leisten Institute wie das Wuppertal Institut Hilfestellung.

Stefan Bringezu leitet die Forschungsgruppe Stoffströme und Ressourcenmanagement am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Seit 2011 ist er außerdem Professor für Nachhaltiges Ressourcenmanagement beim Center for Environmental Systems Research (CESR) an der Universität Kassel. Stefan Bringezu beschreibt in einer Artikelserie bei WiWo Green, welche Herausforderung im Bereich der Rohstoffversorgung auf uns warten und wie wir sie meistern können. 

Bisher ist von Stefan Bringezu auf WiWo Green erschienen:

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