Nachhaltigkeit Segway-Erfinder will weltweites Trinkwasserproblem lösen

Rund eine Milliarde Menschen haben kein sauberes Wasser. Segway-Erfinder Dean Kamen und Coca-Cola wollen das ändern.

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Es war die angemessene Bühne für eine große Ankündigung: Vergangene Woche trafen sich in New York hunderte Unternehmer, Vertreter von NGOs und Nachhaltigkeitsexperten auf Einladung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und seiner Stiftung, um über die dringendsten Probleme der Welt und ihre Lösung zu debattieren.

Mit dabei war auch Dean Kamen. Der 62-Jährige, der nie einen Uni-Abschluss gemacht hat, verdient sein Geld vor allem mit einem Patent auf ein mobiles Dialysegerät. Bekannt wurde er aber vor rund zehn Jahren als er den Segway präsentierte, ein elektrisch betriebenes Gefährt auf zwei Rädern.

Seitdem arbeitet der Daniel Düsentrieb auch an einem Wasserreinigungssystem, das er die "Slingshot"-Maschine getauft hat, was Englisch für Steinschleuder ist (WiWo Green berichtete schon im Februar über die Entwicklung). „Mit einer Steinschleuder hat David Goliath besiegt“, sagt Kamen wenig bescheiden. „Und das wollen wir jetzt auch mit dem Trinkwasserproblem schaffen.“

„Wir“, das ist er und der Coca-Cola-Chef Muhtar Kent. Das Duo will bis 2015 zwischen 1500 und 2000 von Kamens Maschinen in Afrika, Asien und Südamerika einsetzen. Die "Slingshots" sollen bis dahin 500 Millionen Liter sauberes Wasser liefern.

Bis 2020, so das ehrgeizige Ziel von Kamen und Kent, sollen viele tausend weitere Maschinen in Betrieb gehen. Rund eine Milliarde Menschen auf der Welt haben derzeit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und knapp eine halbe Millionen von ihnen sterben jährlich an den Folgen davon.

Mini-Destille soll tausende Leben rettenDie Funktion der Slingshot-Maschine ist einfach: Über einen Motor, der sich mit Solarkraft oder Biomasse betreiben lässt, kann Ab- oder Flusswasser unter Druck wie in einer Destille soweit erhitzt werden, das es verdampft. Das tötet einerseits Bakterien und gleichzeitig werden gefährliche Reste wie Metalle ausgesiebt.

An einem Tag liefert das Gerät, das ungefähr so groß ist wie eine Waschmaschine, knapp 850 Liter sauberes Wasser. Um die Fähigkeiten seiner Erfindung zu präsentieren, trank Kamen sogar schon seinen eigenen Urin, nachdem er durch die Maschine gereinigt wurde.

Jetzt könnte man einwenden: Was ist das Besondere an der Geschichte? Wasserfilter gibt es schließlich schon seit Jahrzehnten. Kamen selbst sah die größte Schwierigkeit darin, verfügbare Materialien und Steuerungstechnik soweit weiterzuentwickeln, dass sie Jahre ohne Reparaturen überstehen können.

„Eine weitere Hürde war, das Gerät handlich genug zu machen, so dass wir es überall auf der Welt installieren können und es größtenteils von selbst läuft“, sagt Kamen. Außerdem sollte es im Industriemaßstab zu produzieren sein.

„Steinschleuder“ zum Preis eines KühlschranksDie Inspiration für das Gerät hatte Kamen, als er über seine mobilen Dialysegeräte nachdachte, die weltweit im Einsatz sind. Sie brauchen absolut sauberes Wasser. Kamen wollte also eine Technik entwickeln, die genau das liefern konnte. Damit war die Idee für die Slingshot-Maschine geboren.

Das Problem, wie Kamen zugibt: „Es ist eine großartige Technologie, aber zaubern kann sie auch nicht.“ In trockenen Gebieten, wo es kein Wasser gebe, könne auch die Maschine nicht helfen.

Bei einem anderen Punkt ist Kamen optimistischer. Die ersten Prototypen des Wasserreinigers hätten noch mehrere hunderttausend Dollar gekostet. In einigen Jahren soll die Maschine zum Preis eines Kühlschrank zu haben sein.

Nachdem all die technischen Schwierigkeiten gelöst waren, wartete ein weiteres Problem auf Kamen: Wie sollten die Maschinen an die Orte kommen, wo sie gebraucht werden und wer sollte sie bezahlen?

Hier kam Coca-Cola ins Spiel. Dessen CEO Kent war sofort von Kamens Technologie begeistert.

Und sie passte perfekt ins Konzept: Denn der Brausehersteller will bis 2020 wasserneutral produzieren. Was bedeutet, das jeder Liter Wasser, der in die Herstellung von Getränken fließt, anderswo als neues, sauberes Wasser verfügbar gemacht wird. Neben dem Recycling von Wasser und einem effizienteren Gebrauch der Ressource soll auch Kamens Entwicklung dabei eine Rolle spielen.

Wie sauberes Wasser zum Geschäft wirdDass der US-Konzern Kamen und seine Slingshot-Technologie unterstützt, ist aber nicht unbedingt Menschenliebe geschuldet, wie Kent bei der Präsentation des Projekts in New York zugab. „Nur wenn es den Regionen, in denen wir unsere Produkte verkaufen, wirtschaftlich gut geht, machen wir dort ein gutes Geschäft.“ Und eine der Grundlagen für Wohlstand sei nun einmal die gesicherte Versorgung mit sauberem Wasser.

Aber Kent wäre wohl nicht Chef von einem der größten Konzerne der Welt, wenn er nicht auch gleich ein Geschäftsmodell um die „Steinschleuder“ entwickelt hätte.

Der Wasserreiniger soll unter anderem in ein Ekocenter genanntes System (siehe Aufmacherbild) integriert werden. Dabei handelt es sich um eine Art Kiosk, der sauberes Wasser, Solar- oder Biostrom zum Laden von Laptops oder Handys liefert und eine öffentlich zugängliche Interverbindung anbietet.

Den Kiosk sollen Frauen auf der ganzen Welt als Unternehmen betreiben. Zusätzlich zum Nötigsten wie Strom, Wasser und Kommunikation könnten auch Produkte des täglichen Bedarfs angeboten werden.

Ein erstes Ekocenter steht jetzt schon in Südafrika. 150 weitere sollen bis 2015 dazukommen. Dafür haben sich Kamen und Kent mit den IT-Spezialisten von Qualcomm, einem großen Solarunternehmen in den USA und vier weiteren Unternehmen und einer Entwicklungsbank zusammengetan.

Wie genau das Geschäftsmodell für die Kioske aussehen soll, ist noch nicht abschließend geklärt. „Aber wirklich funktionieren wird das Konzept nur, wenn die Betreiber damit auch Geld verdienen“, ist sich Kent sicher.

Denkbar ist zum Beispiel, dass die Chefinnen die Ekocenter künftig über einen günstigen Bankkredit kaufen oder leasen und dann nach und nach abbezahlen.

Aber welche Geschäftsmodelle sich auch immer am Ende für das Ekocenter etablieren, eines ist klar: In Verschenken wollen die beteiligten Unternehmen den Kiosk nicht. Warum auch?

Gewinn soll für die Beteiligten aber auch nicht unbedingt herausspringen. Für Coca-Cola ist es dennoch ein cleverer Zug: Funktioniert das System, bekommen sie viel sauberes Wasser für ihre Nachhaltigkeits-Bilanz für wenig oder gar kein Geld. Auch die Menschen in den betroffenen Gegenden würden profitieren. Das Ergebnis: Eine klassische Win-Win-Situation. Zu schön, um wahr zu sein? Das werden die nächsten Jahre zeigen.

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