Mobilität Zürich zeigt, wie der Verkehr der Zukunft aussieht

Pragmatisch, zielgerichtet, offen für Diskussionen. Die Schweiz macht Stadtverkehr umwelt- und bürgerfreundlich. Von ihrer Mobilitätskultur sollten wir lernen.

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Von Konrad Götz, Mobilitätsforscher am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt.

Wir können entweder, wie Steinbrück meint, die Kavallerie in die Schweiz schicken. Oder wir können uns vom großen Ideen-Kuchen, der dort gebacken wird, eine Scheibe abschneiden. Die Eidgenossen sind nämlich nicht dann am kreativsten, wenn es um unser liebes Geld geht, sondern wenn sie – visionär und pragmatisch zugleich - die Mobilität einer Stadt umkrempeln.

Zum Beispiel in Zürich: Wenn dort die Planer vom zuständigen Tiefbauamt den Verkehr in der Stadt in eine grüne Richtung verändern wollen, setzen sie nicht bedingungslos auf teure technische Lösungen, in der Hoffnung, dass sich der Mensch so verhält, wie es die Technik will. Stattdessen arbeiten die Leute vom Amt mit Kommunikationsprofis zusammen und erfinden das, was sie eine neue Mobilitätskultur nennen.

Das klingt nach weichen Faktoren, ist aber glasklar definiert: Wenn wir die Mobilitätskultur einer Stadt in eine zukunftsfähige Richtung verändern wollen, können wir entweder jedes noch so kleine Detail regulieren. Das wäre dann der in Deutschland übliche Weg. Oder wir können, wie in der Schweiz, in engem Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern – also Fußgängern, Rad-, Auto- und Tramfahrern - deren Ideen für einen bürger- und umweltfreundlichen Stadtverkehr erfragen und umsetzen.

Nach Slow-Food kommt der Slow-VerkehrViel früher als andere Städte förderte Zürich zum Beispiel den sogenannten Langsam-Verkehr, also das Zufußgehen und das Radfahren, aber statt gegen den Autoverkehr zu wettern, propagierten sie den Mix unterschiedlicher Verkehrsmittel. Es geht in Zürich schon lange nicht mehr um das Pro und Contra einzelner Verkehrsmittel, sondern um kombinierte Mobilität. Das Ticket fürs Autoparken gilt auch für das Schiff auf dem Zürichsee, für die Tram, den Bus und die Seilbahn.

Klar, mag man jetzt einwenden, die Schweiz ist eine direkte Demokratie und wenn die Politik nicht versteht, was das Wahlvolk will, ist sie weg vom Fenster. Aber das kann auf andere Weise ja auch bei uns passieren. Das zeigen die neuen Mehrheiten in Baden-Württemberg und Stuttgart, die direkte Folge von Auseinandersetzungen rund um ein Verkehrsprojekt sind.

In der Schweiz machen sie es anders: Sie sprechen früh mit ihren Wählerinnen und Wählern und stellen bei langfristigen Großplanungen einen Konsens her zwischen den verschiedenen Interessenlagen. Einfach ist dieser Weg nicht, und kurzfristig umsetzbar nur selten – aber dafür stabil, wenn dann am Ende eine Entscheidung getroffen wurde.

Der große Vorteil eines solchen Konsenses ist nämlich, dass man auch solche Gesamtkonzepte umsetzen kann, die vom anderswo herrschenden Mainstream deutlich abweichen. So haben sich die Züricher schon in den 1970er-Jahren gegen eine U-Bahn und für die Straßenbahn ausgesprochen. Das war zu der Zeit als man in Deutschland das genaue Gegenteil machte und in den Innenstädten auf verkehrspolitische Großprojekte setzte.

Wie weitsichtige Politik möglich istDie Schweizer Methode, in einem ausführlichen Diskurs ein langfristiges Gesamtkonzept mit den Stadtbürgern abzustimmen, macht es möglich, über mehrere Legislaturperioden und wechselnde Mehrheiten hinweg, dicke Bretter zu bohren und so tiefgreifende Veränderungen durchzusetzen. Bei uns gibt es dagegen auch heute noch die Tendenz, dass jede Stadtregierung ihre Duftmarke setzt, ihr kleines Verkehrsexperiment durchführt und das der Vorgängerregierung rückgängig macht. So entsteht ein Flickenteppich nicht zusammen passender Maßnahmen.

Ganz anders dagegen die Schweiz: Hier gibt es zum Beispiel eine sehr langfristig angelegte Fußgängerstrategie. Haben Sie schon mal als Fußgängerin in der Schweiz einen Fuß auf die Straße gesetzt? Das ist sehr angenehm und entspannend. Die Autos verlangsamen sofort und lassen einen rüber. Das sind verständliche Regeln, die überall gelten, und die man sich gut merken kann.

Damit originelle Ideen in den Zürcher Ämtern eine Chance bekommen, lösen die Verantwortlichen die Zuständigkeitshuberei auf und arbeiten seither ressortübergreifend zusammen am gleichen Ziel. Auch hierfür ein Beispiel: Wieder so ein weicher Züricher Standortfaktor: Sie nennen es - etwas sperrig - Aufenthaltsqualität in der Stadt.

Aber sie meinen damit auch – das steht so auf der städtischen Homepage - Ästhetik und Sinnlichkeit, die zu einer guten Qualität des städtischen Raums gehöre. Die Folge: Für Fußgänger gibt es wunderbar-halbschattige Wege am Fluss und es ist für Trinkbrunnen, Sitzgelegenheiten, ja sogar für Toiletten in sinnvollen Abständen gesorgt. Die Geschäftsleute lernen so schnell, dass nicht der Kunde mit dem Auto am häufigsten und meisten kauft.

Mehr Zürich in Frankfurt, München und Berlin!Und noch ein Trick der Eidgenossen: Sie teilen ihr Gesamtkonzept Mobilitätskultur in viele überschaubare Einzelschritte, die in der ganzen Stadt erledigt werden müssen. Aber sie beginnen nicht mit hundert Baustellen zugleich. Sie warten erst einmal. Und wenn irgendwo aus einem ganz anderen Grund – z.B. Bau einer Fernheizung - sowieso Löcher gegraben werden müssen, gucken sie auf ihren Masterplan Mobilitätskultur und erledigen gleich das mit, was an dieser Stelle geplant war – ein paar Fahrradbügel, ein sicherer Überweg, ein Kreisverkehr ohne Ampeln.

Es gibt noch eine Menge solcher Kniffe. Also, gehen wir hin und lernen von den Eidgenossen. Wenn wieder jemand im Hintergrund kräht: Wer hat’s erfunden? Dann sagen wir, wie es unsere Art ist: Das waren wir! Wir in München, Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin.

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