Mobilität Warum sich plötzlich alle für Car-Sharing interessieren

Unser Kolumnist Konrad Götz beschreibt, warum der Car-Sharing-Sektor gerade boomt – und wie es weitergeht.

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Von Konrad Götz, Mobilitätsforscher am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Götz arbeitet dort im Forschungsschwerpunkt Mobilität und Urbane Räume.

Car-Sharing wurde in der Schweiz von Leuten erfunden, die es idiotisch fanden, dass Menschen Autos besitzen, die 23 Stunden am Tag herum stehen, knappe Parkplätze  in der Stadt blockieren und dabei ständig Kosten produzieren.

Die Idee, Autos gemeinsam zu nutzen, gelangte schnell nach Deutschland. In der Frühphase des Car-Sharing, noch im Analogzeitalter der 1980er Jahre, musste sich das Car-Sharing-Vereinsmitglied den Autoschlüssel aus einem Safe holen, ein Formular ausfüllen um dann endlich los fahren zu können. Dann kam das Internet. Jetzt kann man die Autos von zu Hause aus buchen: Man erhält eine Karte mit eingebautem Chip, diese wird an ein Lesegerät an der Windschutzscheibe gehalten, die Zentralverriegelung öffnet das Auto und mit dem Zündschlüssel, der sich im Innenraum befindet, kann gestartet werden.

Die Anbieter sind zu dieser Zeit noch ökologisch engagierte Non-Profit-Organisationen. Sie wollen ihre Kunden dabei unterstützen, Autos nur dann zu nutzen, wenn sie sie wirklich brauchen. Gezahlt wird dann auch nur für die gefahrene Strecke. Die Unternehmen und Vereine heißen Stattauto, Teilauto, Grünes Auto, Stadtmobil, Cambio, greenwheels usw. Konsequenterweise stellen sie Fahrzeuge für unterschiedlichen Zwecke - Kleinwagen, Kombis, Kleinlaster und Cabrios - auf die Stellplätze. Zu Beginn der Nullerjahre setzt sich dieses Verständnis von Car-Sharing durch. Bald berichtet der Car-Sharing-Bundesverband über zweistellige Wachstumsraten (PDF), die Deutsche Bahn entdeckt die Idee und gründet Joint Ventures mit etablierten Anbietern. Das hat den Vorteil, dass man nun, wenn man mit dem Zug unterwegs ist, an allen Bahnhöfen und sogar im Ausland Flinkster-Autos buchen und nach der Ankunft sofort nutzen kann.

Dennoch bleibt das Konzept "Nutzen statt Haben" ein Geheimtipp. Aber dann – nach der Jahrtausendwende - beginnt ein Wettbewerb der Flexibilisierung. Book-n-drive führt in Frankfurt a. M. die Spontannutzung ohne Buchung ein. Man holt sich das Auto einfach vom Platz, behält es solange wie nötig und stellt es wieder zurück. Und vor ein paar Jahren passiert es dann: Der Daimler-Konzern steigt in das Geschäft ein. Car2go funktioniert auf der Basis von Smartphones und GPS-Ortung.

Und weil es der Automobilriese ist, der hier loslegt, wachen die Journalisten jetzt auf. Die alten Ökos klagen zwar: "Wir haben’s erfunden und jetzt reißt sich der Konzern die Idee unter den Nagel". Tatsächlich aber geht Car2go einen  entscheidenden Schritt weiter: Die Kleinstautos haben keine festen Stellplätze, sie stehen verstreut in der Stadt, werden von den Nutzern per GPS angepeilt und damit – ganz entscheidend - kann man die Autos für One-Way-Fahrten nutzen, also nur für Fahrten bis zum Ziel. Dort stellt man es ab und muss es nicht mehr an den Ausgangsort zurückbringen. Das scheint zunächst nur ein kleiner Unterschied. Aber zusammen mit der Ortung und einer kostenlosen Parkplatznutzung verändert das alles.

Vom festen Parkplatz zum dynamischen SystemDie Autos werden damit zu Teilen eines dynamischen Systems, das sich durch  die Ortungs- und Fahraktivitäten der Nutzer ständig verändert. Das kann dann zum Beispiel so aussehen: Ich fahre mit einem Auto zur Kneipe, treffe dort Freunde trinke ein Feierabendbier zu viel und fahre mit der Straßenbahn zurück. Das war mit dem klassischen Car-Sharing nicht möglich. Auch nicht mit dem eigenen Auto.

Die Idee macht Schule, auch BMW steigt mit DriveNow ins One-Way-Geschäft ein. VW ist mit Quicar eher vorsichtig und bleibt stationsgebunden, ebenso wie Ford mit Ford2go und Peugeot mit mu.

Aktuell hat die nächste Evolutionsstufe des Car-Sharings begonnen: Car2go stellt in Amsterdam, Berlin und Stuttgart Elektroautos auf die Straße. Ein Unternehmer sagt uns im Interview, seine Frau und er hätten früher immer großvolumige 8-Zylinder-Autos gefahren. Aber in letzter Zeit aufgrund des Verbrauchs nur noch mit einem unguten Gefühl. Nach der Entdeckung des One-Way-Car-Sharing hätten sie nicht nur das große Auto verkauft, sie bräuchten auch keinen Parkplatz mehr bei ihrer Firma in der Innenstadt  und das Fahren mache wieder Spaß. Das schlechte Gewissen sei weg. Die Autos werden mit zertifiziertem Grünstrom geladen und gehen ab wie die Feuerwehr. Ein anderer berichtet wie das neue Angebot seinen Alltag verändert: „Ich stehe morgens auf, viele haben ja den ersten Griff zur Zigarette, ich mittlerweile nicht mehr. Das erste was ich mache: Ich checke mal, wie viele Autos in der Nähe sind".

Es ist noch nicht klar, wie sehr das alles die städtische Mobilität umkrempeln wird und was davon zukunftsfähig ist. Aber eines zeichnet sich jetzt schon ab: One-Way-Car-Sharing mit Elektroautos verbindet einen ganz neuen Fahrspaß mit hohem Nutzen. Das betrifft vor allem die Parkplatzsuche. Car2go zahlt nämlich an die Städte eine Gebühr und garantiert, dass die Autos an den normalerweise gebührenpflichtigen Parkplätzen kostenlos abgestellt werden können. Ein Nutzer berichtete kürzlich, dass er mit seinem Privatauto bis an den Rand des Car2go-Gebiets fährt, dort in das Elektroauto umsteigt, dann mitten in der Stadt einen Parkplatz findet und mit der U-Bahn wieder zurückfährt.

Nutzer setzen auf Mischung aus Auto und ÖPNVDiese neuen Verkehrsteilnehmer sind nicht auf eine Automarke oder einen Anbieter fixiert. Sie nutzen die Apps von mehreren Car-Sharing-Anbietern. Wenn zwei Sitze ausreichen, fahren sie das Kleinstauto, brauchen sie einen Viersitzer, holen sie sich einen Mini bei DriveNow. Benötigen sie einen Kombi, gehen sie zum klassischen Car-Sharing. Für Straßen-, U- und S-Bahn haben sie die E-Ticket-App des örtlichen ÖPNV-Anbieters, für den Fernverkehr den guten Bahn-Navigator auf dem Smartphone. Und Leute, die sparen müssen, nutzen die Mitfahr-App und die Angebote der neuen Fernverkehrsbusse.

Dabei ist eine Mischung aus Zocken, Planung und Spontaneität im Spiel. Wer beim One-Way-Car-Sharing zwingend zu einer bestimmten Zeit ein Auto braucht, kann dieses auch fest reservieren, dann läuft  allerdings die Kostenuhr und für andere ist dieses Fahrzeug nicht mehr verfügbar. Ist der Nutzer dagegen zeitlich flexibel, peilt er das Fahrzeug nur an, reserviert es nicht, geht zum bevorzugten Wagen, aber in letzter Sekunde kann es jemand anderes wegschnappen.

Macht nichts, wenn 600 Meter entfernt das nächste Auto steht. Checken, kalkulieren, entscheiden. Ist beispielsweise die Batterie eines Elektroautos leer, wird das auf dem Smartphone angezeigt. Wer jetzt eine längere Strecke fahren muss, meidet dieses Fahrzeug. Wer aber Zeit hat und ein Schnäppchen machen will, so wird uns berichtet, geht zu diesem Fahrzeug, fährt es zur Ladestation und bekommt dafür Freikilometer als Guthaben.

Hier zeigen sich die Umrisse einer ganz neuen Mobilität in den Städten. Ist das alles wirklich umweltfreundlich? Sieht so die Zukunft aus? Nimmt das den Öffentlichen die Fahrgäste weg? Ist das gerade boomende Stadtradeln plötzlich unbequem im Vergleich zu dieser Superflexibilität? Wir vom  ISOE erforschen das zusammen mit dem Öko-Institut in einem vom Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit (BMU) geförderten Projekt, bei dem Car2go Praxispartner ist. Und wir sind selbst gespannt auf die Ergebnisse!

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