Klimawandel Haben sich die Forscher verrechnet?

Obwohl der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt, heizt sich die Erde weniger auf als befürchtet. Doch damit ist das Problem Klimawandel nicht gelöst.

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Um bis zu vier Grad werde sich die Erde aufheizen, prophezeit ein Klimaszenario.  Die Erwärmung bei zwei Grad zu beschränken – keine Chance. Uns würden Dürren drohen, Überschwemmungen und Artensterben.

Doch wie verlässlich sind solche Katastrophen-Meldungen – stehen wir wirklich vor dem Klima-GAU?

Zwar stieg die Menge des gefürchteten Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) in den Jahren 2000 - 2010 kräftig an: Rund 300 Milliarden Tonnen CO2 gelangten in die Atmosphäre - laut der Organisation Global Carbon Project ein jährliches Plus von durchschnittlich gut drei Prozent.  Die Temperaturen auf der Erdoberfläche sind in den vergangenen fünfzehn Jahren aber weitgehend konstant geblieben.

Haben wir uns also geirrt? Erwärmt das CO2 die Atmosphäre doch weniger als befürchtet? Müssen wir neu rechnen? Oder drohen Gefahren nur an anderer Stelle?

Wie immer gibt es in der Wissenschaft auf diese Fragen keine einfachen und allgemeingültigen Antworten. Manche Wechselwirkungen im Klima sind noch unklar und an entscheidenden Stellen fehlen Daten.

Vielleicht hat der Hamburger Meteorologe Hans von Storch also Recht, wenn er sagt: "Die Klimaforschung riskiert, das Vertrauen der Menschen zu verspielen." Zu oft, so seine Kritik, machten die Forscher den Fehler, vorschnell Katastrophenszenarien auszurufen und ihre Theorien im Nachhinein zu reparieren.

Modelle sagen zu starke Erwärmung vorausDas heißt nicht, dass alle Ergebnisse der Klimaforschung aus den vergangenen Jahren falsch sind. Wir müssen uns vielmehr daran gewöhnen, dass Wissenschaftler zukünftig die eine oder andere Aussage korrigieren werden - in der Forschung ist das normal. Unglaubwürdig wurden einige Vertreter nur durch "anscheinend unfehlbare Katastrophenszenarien", sagt von Storch.

Vielleicht gehen Klimaforscher nun von ganz alleine etwas vorsichtiger mit ihren Katastrophen-Meldungen um, denn ihre Zunft steht vor einem Problem: Auf der Erde müsste es längst viel wärmer sein, so die Computersimulationen. Tatsächlich liegt die Temperatur aber am unteren Rand der Erwartungen - und verharrt dort.

Ein Teil der Klimamodelle reagiere womöglich zu empfindlich auf den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre, meint deshalb der britische Meteorologe Ed Hawkins. Heißt: die Simulationen überschätzen die Erwärmung.

Um diese Beobachtung zu belegen, hat Hawkins kürzlich zusammen mit Kollegen Modellsimulationen und Temperaturmessungen verglichen. Tatsächlich: Einige Modelle zeigen eine zu starke Erwärmung. Daraus ziehen die Forscher den Schluss, dass die Temperatur bis 2025 - im Vergleich zu 1995 - im Schnitt nur um 0,9 Grad Celsius steigen wird. Bisher waren sie von maximal 1,2 Grad Anstieg ausgegangen.

Das klingt zunächst unscheinbar, hat aber weitreichende Folgen. Denn jedes Zehntel Grad mehr erhöht das Risiko, dass die Meeresspiegel schneller ansteigen und die Menschheit mit mehr Hitzewellen fertigwerden muss. Noch weiter und detaillierter wollten Hawkins und sein Team nicht in die Zukunft schauen, weil die Modelle zu schwach seien.

Ist das 2-Grad-Ziel doch zu schaffen?Andere Forscher sind da kühner. So sorgt aktuell eine Untersuchung eines Teams um den norwegischen Meteorologen Terje Berntsen von der Universität Oslo für Aufsehen. Er setzte die aktuellsten Klimadaten in ein Modell ein und rechnete in die Zukunft.

Das Ergebnis: Wenn sich die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre verdoppelt, wird sich die Erde mit größter Wahrscheinlichkeit zwischen 1,2 und 2,9 Grad erwärmen. Steigt der CO2 - Ausstoß im gleichen Tempo wie bisher, ist dieser Grenzwert im Jahr 2050 erreicht.

Im Rahmen dieser Spanne müssten wir bis dahin wohl - so legen es Berntsens Ergebnisse nahe - mit einem Temperaturanstieg von zwei Grad rechnen. Bisher ging der Weltklimarat (IPCC) davon aus, dass sich die Erde bei einer CO2 - Verdoppelung zwischen 2,0 und 4,5 Grad erwärmt - mit drei Grad als wahrscheinlichster Variante.

Die Erderwärmung könnte also weniger stark ausfallen, als viele Experten bisher dachten. Noch ist die Studie von Berntsen nicht in einem Fachmagazin publiziert. Aber eine internationale Forschergruppe unter Leitung der Universität Oxford kommt in einer aktuellen Studie, die gerade publiziert wird, zu ähnlichen Resultaten.

Caroline Leck, Meteorologin an der Universität von Stockholm, glaubt deshalb, dass die Welt Zeit gewinnt, den Klimagasausstoß zu senken. Für alle, die sich bisher vor den Worten der Untergangspropheten fürchteten, sind das gute Nachrichten. Aber zwei zentrale Fragen bleiben:

1. Warum steigen die Temperaturen nicht mehr?Wenn es jemanden gibt, den die aktuelle Debatte um das Klima nicht überrascht, dann ist es Mojib Latif. Zwar lässt der Leiter des Bereichs Ozeanzirkulation und Klimadynamik des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel keine Talkrunde und keine Zeitungsspalte aus, um vor den katastrophalen Folgen der Erderwärmung zu warnen. Doch er betont: "Wir haben schon 2008 mit unserem Team errechnet, dass es sich bis 2015 nicht erwärmen würde." Bereits damals vermutete Latif, dass Vorgänge in den Ozeanen die Erwärmung zeitweise abschwächen können.

Vor allem der südliche Atlantik, so hat es Latif in einer aktuellen Studie berechnet, erwärme sich derzeit. Die Tiefsee speichert dort in langjährigen Zyklen Wärme und senkt so die Temperatur auf der Erdoberfläche - vor allem regional, aber auch global. Das erkläre auch, sagt Latif, warum die antarktische Eisfläche zunimmt. Am Nordpol schmilzt sie dagegen rapide.

Diese These vertreten viele Forscher. Im März erschien eine Studie eines Teams um die Meteorologin Magdalena Balmaseda aus England, die zeigen soll, dass "die Erwärmung im Wasser ab 700 Meter Tiefe nie so stark wie in den letzten Jahren war".

Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die Erwärmung gar nicht pausiert, sondern sich in den Ozeanen fortsetzt.

Das Problem ist nur: Die Datenbasis ist dünn, vielleicht zu dünn. Zwar existieren seit rund 50 Jahren Messdaten für die Temperatur an der Meeresoberfläche. Von dort aber, wo die Autoren die stärkste Erwärmung vermuten, in Tiefen ab 700 Metern, existieren nur wenige Messungen von Bojen und Tauchthermometern.

Das bedeutet, dass die Forscher nicht endgültig nachweisen können, weshalb die Temperaturen aktuell stagnieren. Die schwache Datenlage überbrücken sie mit komplexen Computermodellen.

Doch das überzeugt nicht alle Experten. "Die Unsicherheiten bei solchen Berechnungen sind noch groß", kritisiert Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Marotzke ist einer der Hauptautoren für den nächsten Bericht des Weltklimarates. Um endlich Klarheit in der Wasser-Frage zu erhalten, fordert er wie viele andere Forscher, die Ozeane endlich gründlich zu untersuchen.

"Über die Rückseite des Mondes weiß man mehr als über den Meeresgrund", klagt er. Erst mit mehr Daten könnte man mit Sicherheit sagen, ob sich die Erwärmung in die Meere verlagert.

2. Welche Rolle spielt die Natur bei der Erderwärmung?Ein weiteres Problem für die Forscher auf der Suche nach der fehlenden Erwärmung ist, menschengemachte von natürlichen Ursachen zu unterscheiden. So bringt eine schwankende Witterung etwa Pazifikanrainern abwechselnd Dürre und Überflutungen. Zudem verändern diese auch El Niño und La Niña genannten Schwankungen weltweit Luft- und Meerestemperatur.

Wie extrem diese Phänomene sind, erlebte die Welt 1998. Damals führte Rekordhitze in den USA zu Ernteausfällen und Schäden in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Ein starkes El-Niño-Ereignis machte das Jahr zum heißesten seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Seitdem aber dominierten La-Niña-Phasen, in denen die Lufttemperatur weltweit sinkt.

Hat also eine atypische Häufung natürlicher Ereignisse die Wärmepause ausgelöst? Klar zu beantworten ist das derzeit nicht.

Denn chaotische Kurzfristphänomene und langfristige Schwankungen überlagern sich. Zum Beispiel die sogenannte "Atlantische-Multidekaden Oszillation", eine Meeresströmung, die auf der Nordhalbkugel die Temperatur stark beeinflusst. Diese Klimaschaukel dauerte im vergangenen Jahrhundert rund 70 Jahre. In diesem Takt nahm die Temperatur im Nordatlantik zu und wieder ab.

Die letzte atlantische Erwärmung begann etwa 1965. Das habe zum globalen Temperaturanstieg bis 2000 beigetragen, glauben zum Beispiel die Forscher Ka-Kit Tung und Jiansong Zhou von der University of Washington in Seattle. Seit 2005 aber geht es mit der Atlantischen Oszillation wieder bergab. Auch das könnte die Aufheizung des Weltklimas durch menschengemachte Treibhausgase gebremst haben.

Jenseits der natürlichen Phänomene gibt dem Hamburger Klimaforscher Jochem Marotzke vor allem eines zu denken: "Von der Energie, die in Form von Sonnenstrahlen in die Erdatmosphäre eindringt, geht nicht alles wieder hinaus", sagt er. Das hätten viele seiner Kollegen mit Messungen in den vergangenen Jahren nachgewiesen. Nur wo diese Hitze im Treibhaus geblieben ist, weiß derzeit niemand.

Deshalb vermuten einige Forscher, dass in jüngster Zeit weniger Sonnenlicht auf die Erde gelangt ist. Als Ursache kommen sogenannte Aerosole infrage - feine Partikel in der Luft, die das Sonnenlicht wie ein Spiegel abschirmen. Ulrike Lohmann von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich glaubt, dass Aerosole den Temperaturanstieg um bis zu einem Drittel gebremst haben könnten.

Unklar ist allerdings, wo genau die kühlenden Teilchen herkommen. Lohmann hat vor allem asiatische Kohlekraftwerke im Verdacht. Die stoßen riesige Mengen schwefliger Partikel aus. Andere Forscher verweisen auf eine Reihe von Vulkanausbrüchen in den vergangenen Jahren. Auch deren Schmutzwolken könnten Sonnenstrahlung reflektiert haben. Aber ob Kohlekraftwerke oder Vulkane: Werden die spiegelnden Aerosole in der Luft weniger, nimmt die Erwärmung wieder zu.

Die ernüchternde Bilanz, die Jochem Marotzke aus dem Forscherstreit zieht: "Es passiert da etwas sehr Spannendes, aber wir verstehen es derzeit nicht wirklich."

Bei allem Rätseln um die Ursachen der fehlenden Erwärmung sind sich fast alle Forscher in einem einig: Zwar strahlt die Sonne aktuell schwächer als in den Jahrzehnten zuvor. Doch der Effekt ist so gering, dass er nur einen Bruchteil zur aktuellen Erwärmungspause beigetragen hat.

 

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