Kernfusion in Wendelstein 7-X Der lange Weg zum Sonnenfeuer

Die Testanlage Wendelstein 7-X hat einen Schritt in Richtung Kernfusion gemacht - einen kleinen.

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Am Rand des beschaulichen Hansestädtchens Greifswald an der Ostsee gelang es Physikern, die Tür zu einer schier unerschöpflichen Energiequelle ein bisschen weiter aufzustoßen. Im bizarr geformten Brennraum von Wendelstein 7-X, so der poetische Name des weltweit größten Fusionsreaktors seiner Art, war am 10. Dezember für eine Zehntelsekunde die Hölle los.

Neun Jahre lang hatten die Forscher des Garchinger Instituts für Plasmaphysik auf diesen Moment hingearbeitet: Die Zündung des ersten Plasmas. Sie hatten ein paar Gramm des Edelgases Helium schlagartig auf eine Temperatur von mehr als einer Million Grad Celsius aufgeheizt. Das Gemisch aus Atomkernen und Elektronen leuchtete heller als die Sonne.

Der Weg zu einem funktionierenden, also Strom erzeugenden Fusionsreaktor ist trotzdem noch lang. Die Temperatur des Plasmas reicht bei weitem nicht aus. Mehr als 100 Millionen Grad Celsius sollten es schon sein. Außerdem wird es mit Helium nicht funktionieren. Nötig sind Deuterium, so der wissenschaftliche Name für schweren Wasserstoff, und Tritium, auch als überschwerer Wasserstoff bekannt.

Mit radioaktivem Tritium wird Wendelstein 7-X allerdings keine Bekanntschaft machen. Nach einer längeren Versuchsreihe mit Helium, das sich relativ leicht in ein Plasma auf hohem Temperaturniveau verwandeln lässt, wollen es die Physiker mit Deuterium versuchen.

Ziel der Experimente ist es, nachzuweisen, dass das Plasma über längere Zeit – angedacht sind 30 Minuten – eingeschlossen werden kann, ohne den Brennraum zu zerstören, was bei den geplanten Temperaturen niemanden wundern würde. Dass es nicht dazu kommt liegt daran, dass das heiße Plasma das Innere der ringförmigen Brennkammer nicht berührt. Das verhindert ein magnetisches Gefäß, das die Wände abschirmt. Es besteht aus gewaltigen Magnetfeldern, die ebenso gewaltige supraleitende Magnete erzeugen. Strom fließt hindurch, ohne auf einen Widerstand zu treffen. Gekühlt werden die Magnete mit flüssigem Helium, das eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius hat.

Geheimnisvolle PlasmenMit Wendelstein 7-X wollen die Physiker die Geheimnisse von Plasmen besser kennenlernen. Das ist die Voraussetzung für den Betrieb eines Reaktors, der tatsächlich Strom erzeugt. Darin verschmelzen bei unvorstellbar hohen Temperaturen die Kerne von Deuterium und Tritium zu Helium.

In einem „richtigen“ Fusionsreaktor haben diese Atomkerne zwei Aufgaben: Sie transportieren Wärme nach draußen, um einen Dampfkreislauf zur Stromerzeugung in Gang zu setzen. Außerdem produzieren sie in einem Brutmantel aus Lithium, bekannt von den gleichnamigen leistungsfähigen Batterien, wieder neuen Fusionsbrennstoff Tritium.

Deuterium wiederum kommt in den Weltmeeren in einer Menge von einigen Billionen Tonnen vor. Da Fusionsreaktoren sich mit Brennstoff im Kilogrammbereich begnügen, könnten sie die Welt praktisch unerschöpflich mit Energie versorgen. Verglichen mit Kernspaltungsreaktoren produzieren Fusionsreaktoren weniger radioaktiven Abfall, der zudem schneller zerfällt. Statt einiger 100.000 Jahre müsste er nur einige 100 Jahre sicher eingeschlossen werden.

Auch andere Fusionsreaktoren erzeugen keinen StromWendelstein 7-X ist vom Bautyp ein Stellarator, der in den USA erfunden worden ist. Er zeichnet sich durch eine optimale Nutzung der Magnetkräfte aus, verbraucht also relativ wenig Strom. Die konkurrierende Bauform nennt sich Tokamak, der in der einstigen Sowjetunion entwickelt worden ist. Anders als ein Stellarator wird der Tokamak nicht kontinuierlich, sondern in Pulsen betrieben. Im französischen Cadarache wird mit Iter derzeit ein solcher Fusionsreaktor gebaut, der aber ebenfalls noch keinen Strom erzeugen kann. Am Bau beteiligt sind alle Staaten der Welt, in denen Fusionsforschung betrieben wird. Die Wissenschaftler erwarten, dass in Iter, der mit realem Brennstoff, also Deuterium und Tritium beschickt werden soll, kurzzeitig mehr Energie erzeugt als zum Aufheizen des Plasmas benötigt wird.

Dass Wendelstein 7-X noch eine Generation hinter Iter, der 2020 fertig sein soll, zurückliegt lässt sich schon an den Baukosten ablesen. In Greifswald wurden knapp 400 Millionen Euro investiert, in Cadarache werden es mindestens zehn Milliarden Euro sein.

Iters Nachfolger könnte ein Reaktor sein, der Strom erzeugt. Es dürfte allerdings noch 20 bis 30 Jahre dauern, ehe eine solche Anlage den Betrieb aufnimmt, vorausgesetzt, die Experimente in Cadarache sind erfolgreich. Der Nachfolger von Wendelstein 7-X würde dagegen noch keinen Strom erzeugen, allerdings mit echten Brennstoffen arbeiten. Erst dessen Nachfolger könnte zur Stromproduktion genutzt werden.

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