Kampfmittel Bombenfriedhöfe unter Wasser stören den Offshore-Bau

In Nord- und Ostsee liegen tonnenweise Kampfmittel. Diese werden nun von Windpark- und Netzbetreibern geräumt.

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Bomben und Minen, Granaten und Torpedos: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Nord- und Ostsee als Müllhalde für Munition genutzt. Immer noch liegen unvorstellbare 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und weitere 5000 Tonnen chemische Kampfmittel in deutschen Gewässern.

Der Bundesregierung und den Ländern war das bislang egal, oder zumindest zu teuer. Erst mit dem Bau von Offshore-Windenergieanlagen gibt es einen Handlungsdruck.

Kampfmittel zu entfernen kostet viel Zeit und noch mehr Geld. Nicht nur den Windpark-, sondern auch den Netzbetreiber: Tennet versucht zwar, explosive Überreste zu umgehen. Es klappt aber nicht immer. Erst vor Kurzem mussten nahe Borkum für die Kabelverlegung für BorWin3 zwei Seeminen gesprengt werden.

Richtig ins Rollen kam das Problem der Kampfmittel beim Anschluss an den Windpark Riffgat, wo 1.400 zu untersuchende metallische Objekte gefunden wurden. Nicht alles war gefährlich. Manches war einfach nur Schrott. Dennoch waren Spezialfirmen mit 60 Experten 18 Monate lang Tag und Nacht im Einsatz. 57 Millionen Euro kostete das Auffinden und Räumen. Gelder, die der Netzbetreiber nicht eingeplant hatte, inzwischen aber dem Projekt zuordnen darf und somit auf die Netzentgelte umlegen kann. Damit letztendlich der Verbraucher zahlt.

Wie genau der Betreiber sucht, bleibt ihm überlassen. Vorschriften gibt es nicht. Am Anfang des Windpark-Booms gab es nicht mal die Vorgabe, Munition zu suchen. „Dass noch kein schlimmer Unfall passiert ist, liegt daran, dass die Firmen die Situation anders beurteilen als die Bundesregierung“, so Claus Böttcher, Geschäftsführer des Expertenkreises Munition im Meer in Kiel.

Eigene Standards aus der BrancheDie Branche hat mittlerweile selbst einen Standard zum Auffinden der Kampfmittel entwickelt. Angefangen mit der historischen Recherche. Manchmal sogar in Archiven in Russland und England. Vieles hat ein Expertenkreis unter Vorsitz von Schleswig-Holstein seit 2011 zusammengetragen. Vorher lag alles im Dunkeln. Aber nicht immer liegen die Waffen dort, wo sie offiziell liegen sollten: „Viele sind schon auf dem Weg zur Ablagestelle über Bord geworfen worden“, erklärt Böttcher.

Erst danach beginnt die Suche vor Ort mit einem Magnetometer, das alle Metallteile erkennt. Und einem Side-Scan-Sonar, um die Oberfläche zu beobachten. Spezialisierte Taucher oder Roboter – sogenannte ROV’S (Re-motely Operated Vehicle) – machen sich auf den Weg in die Tiefen von Nord- und Ostsee, um Funde zu begutachten.

Wie hoch der finanzielle Aufwand ist, möchte Stefan Ramin, Geologe bei wpd offshore solutions GmbH in Bremen, nicht sagen. Es ist abhängig von der Anzahl der Funde und ob sie an Land gebracht oder unter Wasser gesprengt werden müssen. Aber: „Es sind nicht unerhebliche Kosten.“

Dabei hatte wpd noch Glück. Beim wpd-Projekt Butendiek in der Nordsee wurde nur eine Mine gefunden, die unter Wasser zur Explosion gebracht wurde. Bei der 90 Kilometer langen Netzanbindung für den Windpark „Wikinger“ in der Ostsee kamen dagegen 74 Bomben, Minen und Sprenggranaten ans Tageslicht. Von insgesamt 2.100 Verdachtspunkten. „Für jedes Seekabel wird ein mindestens 40 Meter breiter Korridor jeweils 20 Meter beidseitig der geplanten Seekabelachse erkundet“, erklärt Steffen Ebert, Projektkommunikation bei Netzbetreiber 50Hertz.

Komplizierte Suche nach KampfmittelnDas Auffinden ist nicht ganz einfach. Taucher oder ROV’S müssen in 15 Meter Tiefe in einer trüben Brühe danach suchen. Das meiste wird an Land gebracht. Bei 50Hertz mussten nur drei bis vier Objekte gesprengt werden. Meistens sind es Kolosse wie Fliegerbomben mit einem Gewicht von mehreren hundert Kilogramm die zu schwer zum Bergen sind. Sprengen sei relativ einfach. Die Kosten aber ziemlich hoch, erklärt Robert Mollitor, Leiter des Munitionsbergungsdienstes Mecklenburg-Vorpommern, der dafür zuständig ist.

An Land wird der Sprengstoff vernichtet. Umweltverträglich – versichert der Kampfmittelexperte. Optimal ist sprengen dennoch nicht. Es ist ein enormer Eingriff in die Natur und kann vom Fisch bis zum Seehund in der näheren Umgebung alles töten. Um dies zu verhindern, wird ein Blasenschleier eingesetzt. Das Druckluftsystem dämpft vor allem den Schall und sei „enorm wirksam“, so Böttcher.

Die chemische Belastung verhindert dies aber nicht. Eine englische Grundmine kann mit 900 Kilo Sprengstoff gefüllt sein. Überwiegend TNT, was erbgutschädigend und krebserregend ist. Oft detoniert der alte Sprengstoff nicht vollständig. Der Rest der giftigen TNT-Partikel verteilt sich im Meer. Untersuchungen bei Sprengungen in der Kieler Förde haben gezeigt, dass es zwar keine relevanten Belastungen gibt. Spuren von Sprengstoffreste aber schon. Eine toxische Gefahr für Mensch und Meereswelt.

Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende sind Nord- und Ostsee immer noch Bombenfriedhöfe, die erst mit dem Boom der Offshore-Windparks ans Tageslicht gekommen sind. Auf dem Meeresgrund liegen noch tausende von Tonnen mit dem Nervenkampfstoff Tabun gefüllte Artilleriegranaten oder mit Phosgen sowie Senfgas gefüllte Bomben und Granaten. Der Giftschrank der deutschen Waffentechnologie wurde im Meer versenkt. Das Waffenarsenal rottet einfach vor sich hin. Wird die Munition nicht gefunden, wird sie auf dem Meeresgrund bleiben, bis sie völlig auseinanderfällt und die Giftstoffe ins Meer gespült werden.

Schleswig-Holstein hat mit der Nord- und Ostsee gleich zwei belastete Meere vor der Tür und will das so nicht hinnehmen. Der grüne Umweltminister Robert Habeck hat eine Initiative ins Leben gerufen, um das Problem der giftigen Bomben anzugehen. Das nördlichste Bundesland will dabei helfen, den weltweit ersten Roboter zu entwickeln, der unter Wasser Sprengkörper findet, ein Loch in die Stahlhülle schneidet und dann mit einem Rüssel den giftigen Sprengstoff quasi raussaugt. Übrig bliebe giftiger Chemieabfall und ungefährlicher, leicht zu bergender Metallschrott. Bis ein solcher Roboter das erste Mal taucht, dürfte aber noch viel Zeit vergehen.

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