Intelligent verschwenden, statt verzichten Her mit der Effizienz-Revolution!

Schluss mit Verzicht. Dank Energie-Effizienz können wir auch in Zukunft im Überfluss leben, meint Eike Wenzel.

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Eike Wenzel gilt als einer der renommiertesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher und hat sich als erster deutscher Wissenschaftler mit den LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) beschäftigt. An dieser Stelle beschreibt er, wie eine Effizienzrevolution gelingen kann, die keine Mäßigung predigt und Überfluss erlaubt.

Nach der Energiewende ist vor der Mobilitäts- und Wärmewende. Da das alles sehr kompliziert ist, sollten wir endlich damit anfangen, Dinge zu verbessern und unsere Wertschöpfung vorausschauender zu planen.

Denn ohne einen klügeren Umgang mit unseren Ressourcen und ohne intelligentere Produktionsmodelle ist die ganz Wende-Rhetorik nichts wert. Genauso dringend wie die Energiewende brauchen wir eine wirtschaftliche Effizienzrevolution. Die ist eigentlich einfach in die Tat umzusetzen, wenn selbst böse Buben wie Stahlkonzerne und das ressourcenverschleudernde Baugewerbe dabei schon jetzt erstaunliche Durchbrüche erzielen.

Die Stahlbranche produziert smarter

ArcelorMittal steht nicht im Verdacht, zu den Umweltengeln auf diesem Planeten zu gehören. Doch die Stahlkocher aus Indien und Luxemburg können rechnen. Offenbar fühlen sie sich auch einem Aufbruch in eine neue Wertschöpfungskultur verbunden. ArcelorMittal hat nämlich in den vergangen Jahren seine Produktion auf den Kopf gestellt, nach Einsparpotenzialen gefahndet und fieberhaft versucht, Produktionsabläufe besser zu verstehen und integrieren zu können.

Herausgekommen ist dabei in ihrem Werk im belgischen Gent eine zwanzigprozentige Produktivitätssteigerung. In der uralten, dreckigen, aber nach wie vor unverzichtbaren Stahlbranche, die mit gigantischen Energiemengen produziert, ist das eine kleine Revolution. Wie hat ArcelorMittal das geschafft?

Etwa, indem der Konzern bei der Optimierung seiner Prozesse konsequent mit digitalen Technologien gearbeitet hat. „Industrie 4.0“, die effiziente Vernetzung der Produktion, sorgt bei ArcelorMittal für intelligentere und damit ökoeffizientere Abläufe. Pro Jahr vermeidet der Stahlkocher durch Prozessoptimierung in Gent Ausschuss, der dem Produktionsvolumen für 17.000 Autos entspricht.

Effizient und verschwenderisch: eine neue Wertschöpfungskultur

Das Beispiel der intelligenten Stahlkocher zeigt, es gibt nicht den einen Königsweg zu einer zukunftsoffenen, nachhaltigen Ökonomie. Es lohnt sich auch, in den kommenden Jahren die Mühen auf sich zu nehmen und unsere Prozesse intelligenter zu gestalten. Modelle hierfür gibt es reichlich.

So auch die Idee der "intelligenten Verschwendung", die Michael Braungart mit seinem genial-suggestiven Cradle-to-Cradle-Konzept an den Start gebracht hat. Es hat zum Ziel, alle Materialien, die wir zur Produktion und zum Bauen verwenden, nach ihrer Nutzung wieder in ihre stofflichen beziehungsweise technischen Kreisläufe einzubinden. So können Ressourcen, die sonst im Müll gelandet wären, weiter verwendet werden.

Die Effizienz- und Optimierungsphantasien hören bei puritanischen Energiespar- und Verzichtsappellen noch lange nicht auf. Denn Automatisierung und das Internet der Dinge versprechen für die kommenden Jahre ebenso große Einsparpotenziale und noch größere Produktivitätsschübe. Empfehlenswert sind dazu die Bücher von Stefan Heck, Matt Rogers: Resource Revolution sowie von Jeremy Rifkin: The zero marginal cost society.

Vieles davon wird erfreulicherweise im Verborgenen stattfinden und aus der digitalen Integration von kleinteiligen Prozessen bestehen. Schauen wir dafür noch einmal zurück auf unser Feuer speiendes Stahlwerk. In einem zweiten Werk in Burns Harbor, Indiana, setzt ArcelorMittal seit einiger Zeit die gleichen Prozessoptimierungen um, die in Belgien zu greifen beginnen. Es mag größenwahnsinnig klingen, aber der Konzern möchte nach eigenen Angaben eines Tages mit intelligenten Stahlwerken Geld verdienen, die so funktionieren: ein Stahlwerk, ein Arbeiter, ein iPad.

Siemens erneuert in Gent seit 2012 die Fertigstraßen der Warmwalzwerke, um ökoeffizienteren Flachstahl insbesondere für die Automobilindustrie zur Verfügung stellen zu können, so dass leichtere Fahrzeuge gebaut werden können, die weniger CO2 emittieren.

Von den Dreckschleudern lernen

Es wäre viel gewonnen, wenn wir uns für alle künftigen Debatten klar machen, dass wir das Ziel nur durch Pluralität der Methoden, Technologien und Strategien erreichen können. Dazu gehört deshalb nicht nur das Ringen um die Energiewende 2.0. Wir müssen auch vieles, was wir heute in der Wertschöpfung tun, noch besser und intelligenter machen. Wir sollten uns  also verstärkt um das Thema Ökoeffizienz und Energieeffizienz kümmern, so wie es eine ehemalige Dreckschleuder wie ArcelorMittal vormacht.

Wirtschaftsminister Gabriel hat vor einigen Tagen mit dem „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“ zumindest verbal ein klares Bekenntnis zu Energieeffizienz abgegeben. In den kommenden Jahren sollen für die Wirtschaft unterschiedliche Anreize zu ökoeffizienterer Produktion gesetzt werden. Unter anderem schwebt der Koalition vor, rund 500 Energieeffizienznetzwerke zu bilden, in denen sich Unternehmen gegenseitig zu mehr Nachhaltigkeit und Effizienz anspornen.

Cradle-to-Cradle und Upcycling (möglichst hochwertiges Recycling von Stoffen und Technologien) werden seit Jahren als Zukunftskonzepte herumgereicht. Doch die deutsche Wirtschaft braucht offenbar erst den Startschuss des Ministers, um bei der intelligenten Industrieproduktion in die Gänge zu kommen.

Insbesondere nimmt die Effizienz-Initiative das Baugewerbe in den Blick. Die Gebäudesanierung soll zwischen 2015 und 2019 mit einer weiteren Milliarde Euro bezuschusst werden. Es wird höchste Zeit, dass auf diesem Sektor etwas geschieht, denn Gebäude produzieren 40 Prozent aller CO2-Emissionen. Und problematischer noch: das Bauwesen verbraucht rund die Hälfte aller Rohstoffe und ist für 60 Prozent des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich.

Unsere Städte sind eigentlich Kupferminen

Wie sähe hier der Fahrplan für eine Effizienzwende aus? Unsere Städte, so wie sie in den vergangenen rund 200 Jahren gewachsen sind, verfügen über eine höhere Kupferdichte als eine Kupfermine, haben die Forscher von Fraunhofer und der Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) herausgefunden.

Bislang hat uns das wenig interessiert. Im Baugewerbe dominierte bislang Downcycling: hochwertige Baustoffe landeten in der Regel im Straßenbau und büßten als Schüttgut ihre Qualität ein. Für die meisten Materialien gilt: Nach ein oder zwei Aufbereitungsschritten landen Rohstoffe meist auf der Deponie oder in der Müllverbrennung und sind somit unwiederbringlich verloren.

Effizienter und intelligenter zu bauen wird in Zukunft bedeuten, mit Rohstoffen wie Kupfer oder Stahl vollkommen anders zu wirtschaften. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Stahl: Das beim Bauen bislang unverzichtbare Metall hat in den vergangenen zehn Jahren eine größere Wertsteigerung hingelegt als der Frankfurter Dax. Gerade die Schwellenländer (vor allem China, Brasilien, Indien) zeichnen sich seit Jahren durch eine schier grenzenlose Stahlnachfrage aus.

Wollen wir den ehemaligen Schwellenländern einen energieeffizienten Modernisierungsschub zugestehen, der sie an westliche Lebensweisen und Wohlstandserwartungen heranführt, können wir auf Stahl nicht verzichten. Unser Anspruch muss aber sein, dass dieser Stahl deutlich energieeffizienter hergestellt und verarbeitet wird. Dafür müssen wir jedoch auf den Märkten und im Alltags-Business mit Stahl anders umgehen.

Wege in eine ökoeffiziente Stahl-Zukunft deuten sich zumindest an: Investoren werden schon in einigen Jahren verbaute Rohstoffe als Kapitalanlage betrachten, da diese sich später auf Basis der Upcycling-Idee (jeder Ausgangsstoff hat mehrere Leben, er wird in neue Kreisläufe eingespeist) wieder teurer verkaufen lassen. Dies führt vom ersten Tag an zu geringeren Abschreibungen der Gebäude.

In den Niederlanden ist das übrigens heute schon Realität: bereits beim Entwurf von Gebäuden werden dort entsprechende Verträge mit den Rohstofflieferanten über die spätere Rücknahme geschlossen. Cradle-to-Cradle, die intelligente Kreislaufwirtschaft, funktioniert also auch beim energieintensiven Bauen. Peter Mösle und Valentin Brenner von Drees und Sommer bringen das in der Immobilien Zeitung folgendermaßen auf den Punkt: „Die Gebäude von heute sind unsere Rohstoffe für morgen, zu den Preisen von gestern.“

Gebäude werden nur noch geleast

Ein weiter führender Ansatz macht gar eine ganz neue Ära der „temporären Gebäude“ vorstellbar. Auch hier haben die Niederlande in den vergangenen Jahren entscheidende Vorstöße unternommen. Bei Bürogebäuden im Park 2020 wird beispielsweise die Fassade samt aller Materialien nur vermietet. Der Bauherr in diesem Projekt kauft für eine vereinbarte Zeitspanne, Wetter- und Wärmeschutz zu einem fixen Preis – er wird jedoch nicht zum Eigentümer des Gebäudes im herkömmlichen Sinne.

Dadurch reduzieren sich die Baukosten und die erforderliche Anfangsinvestition erheblich - bei definierter Qualität. Wir wissen ja längst, dass man praktisch alles leasen kann, vom Auto bis zur Peep Show. Warum dann nicht auch Rohstoffe und Gebäudeteile für Häuser leasen? Die Rohstoffe, aus denen ein Gebäude besteht, werden dabei von einem Bauträger der neuen Art für einen definierten Zeitraum vom Hersteller geleast, statt ihn teurer zu kaufen. Durch das Leasing, das macht den Vorschlag für viele charmant, ließen sich die Baukosten senken.

Ökoeffizientes Bauen wie aus dem 3D-Drucker

Baulöwen, die heute noch jeden schmutzigen Trick nutzen, könnten in einigen Jahren schon von der "Ökodividende" schwärmen. Durch die Digitalisierung nicht nur der Bits und Bites, sondern auch der Atome stehen wir tatsächlich vor einer Revolution der Produktion. Wenn es uns in zehn bis zwanzig Jahren gelingt, mittels 3D-Drucker und Vorprodukten von Fertigteilen, dort zu produzieren, wo wir die Dinge verarbeiten, werden wir komplett neu über den Klimakiller Logistik nachdenken.

Wir brauchen keine aufwändigen Lieferprozesse mehr. Gebäude ließen sich dann wesentlich effizienter und in deutlich kürzerer Zeit errichten. Kürzlich hat das Unternehmen Broad Group in China innerhalb von nur 15 Tagen ein 30-stöckiges Hotel in die Landschaft gestellt. Auch hier standen simple, aber clevere Prozessoptimierungen im Mittelpunkt. Doch der Clou bei der ganzen Sache: Viele Teile wurden auf geniale Weise vorproduziert. Und bei den Baumaterialien kam zu 96 Prozent „upgecycelter“ Stahl zum Einsatz.

Die CalStar-Story: Zement ohne Umweltschäden

Gehen wir in der Prozesskette einen Schritt zurück, schauen wir auf ein bauliches Grundbestandteil wie Zement. Wer hätte es vor zehn Jahren für möglich gehalten, Zement herzustellen, ohne dass dabei umweltschädliche Verbrennungsprozesse anfallen? Bei CalStar, einem US-Unternehmen aus Racine, Wisconsin, wird das neuerdings so gemacht.

Statt Lehm durch extrem hohe Temperaturen zu verbrennen und so Zement zu gewinnen, verarbeitet es Pottasche in einem chemischen Prozess. CalStar ist wild entschlossen, die Ära der Hochenergieproduktion hinter sich zu lassen und stellt mit diesem neuen Verfahren mittlerweile auch Steine und andere Baumaterialien her.

Fazit: Lieber wachsen, statt verkniffen sparen

Wir können auf bahnbrechende Weise ressourcenschonend wirtschaften, ohne zu einer Subsistenzwirtschaft des verkniffenen Sparens zu degenerieren. Dafür sollten wir speziell hier in Deutschland endlich unsere Angst gegenüber neuen Technologien (Digitalisierung, Internet der Dinge, Industrie 4.0) ablegen. Zudem dürfen wir jedoch Technologien nicht zu Ersatzreligionen erklären. Wir sollten uns vielmehr klar machen, dass ein neues Denken über Lebensstile und die Art und Weise, wie wir in den nächsten Jahren leben, produzieren und wirtschaften wollen, ebenso wichtig ist, wie das Tüfteln an umwelttechnologischen Durchbrüchen.

Eine Effizienzwende kann deshalb so wirkungsvoll sein, weil sie nicht die gigantische Integration von Technologien wie bei der Energiewende fordert, sondern einen intelligenten Plan, wie man Dinge besser machen und klüger planen kann. Gelingt es uns, Ausgangsstoffe immer wieder in neue Verwendungskreisläufe einzuspeisen, können wir auch weiterhin verschwenderisch sein. Damit meine ich, dass wir auf einer solchen Effizienz-Basis weiterhin das betreiben können, was sehr menschlich ist: wachsen, Mehr-haben-wollen, Überfluss genießen, generös und luxuriös mit Dingen umgehen.

Ökoeffizienz und Upcycling heißt dann auch, dass so etwas Nebensächliches wie Design und Gestaltung entscheidend  wird. Unter Effizienzgesichtspunkten heißt es dann auch: „Design Matters“. Die vorausschauende Gestaltung von Dingen, Maschinen, aber auch von Dienstleistungen avanciert dann zu einem wesentlichen Faktor bei der Umsetzung von Ökoeffizienzmaßnahmen, wie Michael D’heur auf WiWo Green beschrieben hat.

Ökoeffizienz wird uns blühende (Bau-)Landschaften bescheren. Effizienz stimuliert den allgegenwärtigen Wunsch von uns Gutmenschen nach Achtsamkeit und bewusster Formgebung, ohne uns dem Schwarzbrotdiktat des Verzichts unterwerfen zu müssen. Ausgerechnet ein Stahlwerk stimuliert die Idee einer neuen Wertschöpfungskultur.

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Unter diesem Link finden Sie alle Kolumnen von Eike Wenzel auf WiWo Green

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