Hirngespinst oder gute Idee? Forscher wollen mit Algen die Welt retten

Algenplantagen auf den Ozeanen sollen Energie und Nahrung liefern und den Klimawandel aufhalten.

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Kalter, gesäuerter Klebreis, in der Mitte ein Stück Thunfisch, umwickelt mit Nori, den Blättern aus getrocknetem Seetang: So kommt die am meisten verbreitete Form des japanischen Sushi auf den Teller. Und so haben westliche Großstadtbewohner Makroalgen lieben gelernt.

Nach dem weltweiten Siegeszug der Algen in Sushi-Küchen will eine internationale Forschergruppe jetzt ein globales Problem mit ihnen lösen: den Klimawandel. Sie wollen im ganz großen Stil Seegräser anbauen – als Nahrungsquelle, zur Methan- und damit zur Strom- und Treibstoffproduktion und zur Speicherung von CO2. „Das ist die einzige profitable Methode, um zwei Billionen Tonnen CO2 aus Luft und Wasser zu entfernen“, bewerben die Initiatoren ihren Vorschlag beim Climate CoLab des Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Was sie vorhaben, ist so etwas wie eine hypermoderne Forstwirtschaft auf dem Meer. Wälder aus Seegras, beispielsweise Braunalgen, sollen wie Wälder an Land per Photosynthese CO2 binden. Regelmäßig wird ein Teil der Algen geerntet und zu Nahrung verarbeitet. Der Rest wird in Fermentern direkt im Meer zu Biogas verarbeitet.

Das bei der Fermentierung entstehende CO2 soll gespeichert und die organischen Reststoffe wieder als Dünger eingesetzt werden, mit dem die Algen und Fischpopulationen schneller wachsen. Im Bereich der Algen ist das Meerwasser zudem weniger sauer. Es ist ein künstliches Ökosystem, das sich selbst erhält.

12 Milliarden Tonnen Biogas pro JahrWürden neun Prozent der Ozeanfläche mit solchen Seegras-Wäldern bedeckt, hätten sie nach Angaben der Forscher das Potenzial, 12 Milliarden Tonnen Biomethan pro Jahr zu produzieren. „Das ist genug, um den gesamten heutigen Bedarf an fossilen Brennstoffen zu decken und gleichzeitig bis zu 53 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre zu tilgen“, rechnet Antoine N’Yeurt vom Pacific Centre for Environment and Sustainable Development vor.

Die Algen-Ozeanbewaldung, wie ihre Erfinder sie nennen, könnte somit innerhalb von 30 Jahren den CO2-Gehalt der Atmosphäre auf ein vorindustrielles Level drücken – und so den Klimawandel aufhalten. Zwanzig Jahre bräuchte es allerdings mindestens, bis die Algen-Farmen auf Hochbetrieb laufen könnten.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch tatsächlich sind Algen schon heute eine Plage für viele Länder: Wärmere Ozeane und organische Reststoffe aus Kläranlagen und Industrien sowie Abfälle aus dem industriellen Fischfang befeuern das Algenwachstum. Erst 2011 wurden die französische Bretagne von Grünalgen heimgesucht, die viele Strände unbegehbar machten. An Stränden der Fidschi-Inseln oder auf Hawaii sind die Strände voll von Algen, die vielfach ungenutzt und aufwändig entsorgt werden müssen.

Pilotprojekt auf den Fidschi-InselnMit kostengünstigen Fermentern könnten Inselbewohner aus der Algenplage nachhaltigen Treibstoff gewinnen – und die Algen gleich als Dünger nutzen. Mit großen Seegras-Wäldern, so die Hoffnung von N’Yeurt und seinen Kollegen, geht das weltweit. Sie beanspruchen keine kostbaren Agrarflächen für die Nahrungsmittelproduktion, fördern die Artenvielfalt und liefern Energie und Nährstoffe.

Auf den Fidschi-Inseln startet jetzt ein erstes Pilotprojekt. Die Inselgruppe will von Diesel-Treibstoffen unabhängig werden, und Algen scheinen dafür perfekt geeignet. Wie so viele wegweisende Unternehmungen fängt auch dieses Projekt im Kleinen an.

Linktipp: In einem Forschungspapier (hier als PDF) stellen die Forscher um N’Yeurt ihre Ideen ausführlich dar.

Im Video erklärt Jim Stewart, einer der Vizepräsidenten des Unternehmens PODenergy, wie es mit den Seegras-Wäldern klappen könnte:

Verbesserung: Es sind 53 Milliarden Tonnen CO2, die die Seegraswälder schlucken, und nicht Millionen, wie in einer früheren Version des Textes beschrieben.

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