Debatte Der Kapitalismus wird grün

Der Kapitalismus zerstört die Umwelt und treibt die Erderwärmung an – er ist ein riesiges Problem, aber auch die Lösung.

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Der Autor lehrt als Professor mit dem Spezialgebiet Innovation und globale Wettbewerbsfähigkeit in Rom und Sydney. Der folgende Text ist ein Auszug aus seinem neuen Buch "The Greening of Capitalism".

Die derzeit laufende Transformation von China und Indien zu neuen Industriegiganten geschieht tausendmal so schnell und intensiv wie die erste industrielle Revolution. In den alten Industrienationen fußte der Aufschwung auf scheinbar unbegrenzt verfügbaren fossilen Brennstoffen. Wird dieser Prozess in Asien nach demselben Modell ablaufen können? Ich glaube nicht.

Denn das industrielle Modell, das der entwickelten Welt gute Dienste geleistet und die Lebensstandards in Europa, Nordamerika und Japan auf ein zuvor nie erreichtes Niveau gehoben hat, lässt sich nicht so skalieren, dass es auch weiteren Milliarden Menschen in China, Indien, Brasilien und anderswo hilft – jedenfalls nicht, ohne die Ressourcen dieses Planeten im Übermaß zu beanspruchen.

Wenn wir mit der Ökologisierung des Kapitalismus vorankommen wollen, wird etwas anderes gebraucht.

Industrialisierung ohne fossile EnergiequellenDass es dringend nötig ist, etwas zu tun, wird immer offensichtlicher: Denn die Kosten eines “business as usual” (BAU) treffen vor allem Entwicklungsländer mit voller Wucht, wenn ökologische Grenzen im Sturm gerissen werden. Die große Frage lautet: Können Länder (vor allem China und Indien) sich weiter industrialisieren – dies aber mit erneuerbaren statt fossilen Energiequellen?

Ja, können sie. Und ich würde sogar argumentieren, dass ein alternatives Wachstums- und Entwicklungsmodell am deutlichsten im Osten im Entstehen ist, vor allem in China.

Die Begriffe grüne Entwicklung und grünes Wachstum lassen sich zwar unterschiedlich interpretieren. Im Kern aber stehen sie immer für ein Industriemodell, das nicht mehr auf fossilen Brennstoffen und großzügigem Ressourcen-Verbrauch basiert. Die ersten Schritte dabei sind klein, doch das Ziel ist stets eine Industrialisierung mit weniger Umweltbelastung durch fossile Brennstoffe.

An dieser Stelle kommt “grünes Wachstum” ins Spiel. China, Indien und andere Länder sind sich durchaus darüber im Klaren, dass sie nicht darauf hoffen können, ihre Industrialisierung mit dem verschwenderischen und auf fossilen Brennstoffen basierenden Modell der alten Industrienationen fortsetzen zu können. Denn das würde unvermeidlich zu Ressourcen-Kriegen (gegeneinander und gegen bereits industrialisierte Länder) sowie endlosen ökonomischen Problemen führen, weil Rohstoffe zur Neige gehen.

Kapitalismus funktioniertDas ungehemmte Verbrennen fossiler Brennstoffe und die nicht nachhaltige Ausbeutung von Ressourcen bedeuten eine ökologische Tragik der Allmende.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die chinesische Zentralregierung in Peking in der Lage ist, etwas gegen diese Probleme zu unternehmen. Der aktuelle zwölfte Fünfjahresplan des Landes ist wohl die beste Vorlage für die Ökologisierung einer Industrienation, die man finden kann. Ähnlich hat auch Südkorea, ein weiterer ostasiatischer Staat, der auf eine staatlich gelenkte Transformation setzt, eine eigene Strategie für grünes Industriewachstum initiiert.

Kurz gesagt: Man darf davon ausgehen, dass die kapitalistischen Werkzeuge von Eigentumsrechten, Märkten und kreativer Zerstörung effektiv funktionieren. Dies allerdings erst, nachdem das System einen Neustart bekommen und einen neuen Kurs eingeschlagen hat, der von intelligenter staatlicher Intervention vorgegeben wurde.

Mit seiner Festlegung auf grüne Entwicklung hat China viele überrascht, ebenso wie mit dem Aufbau einer Erneuerbare-Energien-Branche in einem für den Westen unerhörten Tempo. Darüber hinaus ist das Land dabei, die Bausteine für eine Kreislaufwirtschaft einzuführen, in der Abfall zu Rohmaterial wird. Über differenzierte Zinssätze der staatlichen Banken leitet das Land gezielt Geld in derartige Projekte.

Neues Stromnetz für ChinaSchon 2013 installierte China mehr Stromerzeugungskapazität mit Wasserkraft und „neuen“ Erneuerbaren als mit konventionellen Kernkraftwerken und thermischen Kraftwerken. Dies war ein extrem bedeutsamer Meilenstein, für China selbst wie für die ganze Welt. Ebenfalls schon 2013 hatte China die größte Branche für erneuerbare Energien der Welt.

Die chinesische Unterstützung für erneuerbare Energien ist entschlossen, ernsthaft und nachhaltig. Die Gründe für diese Unterstützung liegen nicht nur im Klimawandel, sondern auch in der nationalen Energiesicherheitspolitik. China will sein Energiesystem aufbauen, ohne dabei dem Bedarf anderer Länder nach fossilen Brennstoffen in die Quere zu kommen und so Kriege zu provozieren.

China entwickelt nicht nur neue Produkte zur Stromerzeugung und zur Erhöhung der Energieeffizienz. Es investiert auch enorme Summen in die Modernisierung seines Stromnetzes, damit es unterschiedlichste Quellen aufnehmen kann.

Die Rede ist von einem „intelligenten und starken“ Netz, das mit moderner IT gesteuert wird und enorme Mengen Strom aus den Wüsten im Westen, wo reichlich Wind und Sonne zur Verfügung stehen, an die Ostküste des Landes transportiert. Dazu dienen neue Hochspannungsgleichstromleitungen (HGÜ), die deutlich weniger Strom verlieren als konventionelle Wechselstromstrecken.

Ambitionierte Ziele für RessourceneffizienzDer zwölfte Fünfjahresplan erklärt explizit, dass die sieben Zielbranchen für Chinas Cleantech-Revolution im Jahr 2015 einen Anteil am BIP von acht Prozent haben sollen. 2020 sollen es schon 15 Prozent sein, anschließend ist ein weiterer rascher Anstieg vorgesehen.

Laut dem Plan soll China immer weniger Technologie importieren und immer mehr einheimische Innovationen nutzen. Nur Südkorea hat eine ähnliche Strategie für grünes Industriewachstum formuliert; sie konzentriert sich auf den Ausbau von grünen Branchen als Plattform für die Zukunft.

Sogar schon 2008 hat China ein Gesetz zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft eingeführt. Es ist angelehnt an die Regeln in Japan, geht mit dem Konzept aber einen Schritt weiter, indem es zum nationalen Entwicklungsziel erklärt wurde. Das Land setzt sich außerdem ambitionierte Ziele für Energie- und Material- (oder Ressourcen-)Effizienz.

China könnte als das pragmatischste Beispiel für Kreislaufprinzipien und ökologisch verantwortliches Denken angesehen werden – auch wenn es derzeit mit schwerster industrieller Verschmutzung zu kämpfen hat.

Sein zwölfter Fünfjahresplan fasst frühere Versuche zur Förderung der Mehrfachverwendung von Ressourcen nach dem Prinzip der drei R zusammen – reduzieren, mehrfach verwenden (reuse), recyceln. Dieser Grundsatz ist nicht nur Teil der chinesischen Umweltpolitik, sondern wurde auch als eines der Hauptentwicklungsziele definiert.

Krieg, Revolutionen und TerrorDie in China laufenden Öko-Initiativen (oder Fälle von industrieller Symbiose) werden als entscheidender Teil seiner Kampfes gegen die bestehenden Umweltprobleme gesehen, während gleichzeitig das Wirtschaftswachstum erhalten bleiben soll. Das letztliche Ziel der Initiativen ist die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. Verschiedene institutionelle und rechtliche Arrangements sollen Unterstützung liefern.

Hinter den trockenen Statistiken und Grafiken zur wachsenden Diskrepanz zwischen Produktion und Verbrauch von fossilen Brennstoffen in Indien wie China (die zunehmende Importe bedeutet) lauern die geopolitischen Realitäten der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen: Krieg, Revolutionen und Terror. Diese Aussichten passen nicht gut zum chinesischen Ziel von 50 Jahren friedlicher Entwicklung.

Aus diesem Grund wird ein anderes Wachstumsmodell gebraucht, und aus demselben Grund ist es unverzichtbar und muss hauptsächlich von China, Indien und den nach ihnen kommenden Ländern entwickelt werden.

Vor diesem Hintergrund kann ich jetzt auch genauer erklären, was ich mit „grünem Wachstumskapitalismus“ meine: ein Wirtschaftssystem, das durch eine Vorzugsbehandlung von Investitionen in erneuerbare Energie umweltfreundlicher wird und in dem Wachstum bei Produktion, Produktivität und Einkommen nicht mit höherem Ressourcen-Verbrauch erkauft wird.

"Peking-Konsens" für EntwicklungsländerEs ist jetzt an China, Indien und Brasilien, die Entwicklungsleiter emporzusteigen. Jedes dieser Länder folgt dabei seinem eigenen Muster – China als „Werkbank der Welt“, Indien mit Informationstechnologie und Software-Diensten als „Back-office der Welt“ und der agroindustrielle Gigant Brasilien als „Farm der Welt“.

Indien und Brasilien sind ernsthafte Kandidaten dafür, einen „Peking-Konsens“ über alternative Entwicklungspfade zu übernehmen. Tatsächlich gibt es reichlich Belege dafür, dass sie sich schon auf diesen Weg begeben haben.

Brasilien hat mittlerweile eine weltweit führende Position bei einer alternativen Entwicklung des Energiesektors. Auf der Grundlage seiner Agrarressourcen entstehen in dem Tropenland Bioenergie-Branchen, die auf der ganzen Welt Fuß fassen könnten, nachdem die USA (allerdings nicht die EU) jetzt die Einfuhrzölle für brasilianisches Ethanol auf Zuckerrohr-Basis gesenkt haben.

Ein neuer, grüner WachstumskapitalismusIndien wiederum errichtet in rascher Folge Öko-Industrieparks nach dem Vorbild ähnlicher Projekte in China. Dies ist Teil der Bemühungen, in Sonderwirtschaftszonen Industrie-Cluster zu schaffen. Das Land lässt zwar eine enorme Expansion seines fossilen Brennstoffsektors zu, fördert auf Ebene der Zentralregierung aber auch entschieden grüne Branchen.

Wenn in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien ein neuer grüner Wachstumskapitalismus entstehen soll, so wurde bereits argumentiert, muss es eine staatliche Lenkung geben; wenn die neuen Praktiken dann ihre Überlegenheit beweisen, könnten sie auch in vielen anderen entwickelten Staaten und Entwicklungsländern übernommen werden.

Die regulatorische Förderung von Öko-Finanzierung in Brasilien ist bislang nur partiell, in China dagegen wird sie obligatorisch. Es werden systematische Verfahren etabliert, die dafür sorgen sollen, dass Geld bevorzugt in grüne Investitionsprojekte fließt.

Dazu dienen die “Green Credit Guidelines” der China Banking Regulatory Commission (CBRC). Die Richtlinien, die 2013 als verpflichtende Standards eingeführt wurden, versprechen der Schlüssel zur Ökologisierung des chinesischen Wachstumsmodells zu werden.

Die Wirtschaft des grünen Wachstums ist insofern erkennbar und transparent kapitalistisch, als sie privates Eigentum an wichtigen Produktionssystemen zulässt und fördert. Ebenfalls zeichnet sie sich durch ein gut ausgebautes System zur Allokation von Kapital und Kreditschaffung für Entrepreneure aus. Und das Steuersystem sorgt dafür, dass Unternehmen nicht so groß werden, dass sie mit Wucherpreisen oder anderen unfairen Praktiken agieren können.

Kapitalismus ist gleichzeitig Problem und LösungZunächst einmal aber muss die Wirtschaft auf ihren neuen Pfad gebracht werden, auf dem sie von erneuerbarer Energie befeuert wird und fast alle Ressourcen zu einem Kreislauf gehören. Wenn es so weit ist, können die kapitalistischen Werkzeuge – Eigentumsrechte, Märkte und kreative Zerstörung – ihr volles Potenzial entfalten und so das erhoffe Ergebnis in Form von steigenden Einkommen und Wohlstand bringen.

Allmählich sehen Gelehrte und Kommentatoren die Möglichkeit einer echten Alternative zum „wilden Kapitalismus“ in China und dem Rest von Asien. Denn es setzt sich die Erkenntnis durch, dass das westliche Modell des industriellen Kapitalismus, basierend auf endlosem Wachstum bei Ressourcen, Materialien und Konsum, in Wirklichkeit eine Fiktion ist.

Dieses Modell hat für die wachsenden Bevölkerungen Chinas, Indiens und Brasiliens sowie der vielen Länder, die bald ebenfalls die Vorteile der Industrialisierung genießen wollen, nicht viel zu bieten. Deshalb bewegen sich diese Länder, angeführt von China, in Richtung Ressourcenschonung, Nutzung erneuerbarer Energien und Verantwortlichkeit auf dem Finanzmarkt.

Aus diesem Grund bestehe ich darauf: Wenn die globale Erwärmung und all die anderen Nebenwirkungen unserer industriellen Zivilisation eine Folge des Kapitalismus sind, dann müssen wir auch die Lösung im Kapitalismus suchen.

In derselben Art von Kapitalismus, die das aktuelle System geschaffen hat, kann sie allerdings nicht liegen. Gebraucht wird ein grüner Wachstumskapitalismus auf der Grundlage von erneuerbaren Energien und Prinzipien der Kreislaufwirtschaft – Nachhaltigkeit muss Teil der DNA von Institutionen, Unternehmen und industriellen Prozessen werden.

Nichts anderes wäre akzeptabel, weder für uns noch für den Rest der Welt. Einer solchen kapitalistischen Dynamik können wir getrost die Zukunft unserer industriellen Zivilisation anvertrauen.

***

Übersetzung: Sascha Mattke

John A. Mathews

Greening of Capitalism: How Asia Is Driving the Next Great Transformation

Stanford University Press 2015

 

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