Fisch- und Gemüsezucht in Berlin Startup baut größte Stadtfarm Europas

Das Berliner Startup ECF wagt einen neuen Ansatz beim Urban Farming - und das im ganz großen Stil.

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Außergewöhnliche Ideen fühlen sich in Berlin besonders wohl. Ein eigenwilliger Einfall scheint auf den ersten Blick auch die Sache mit den Tomatenfischen zu sein. Wer die Tiere sehen will, muss in die Nähe des stillgelegten Tempelhofer Flughafens fahren, auf das Gelände einer ehemaligen Malzfabrik.

Dort steht, auf einem großen Hof, umgeben von historischen Klinkergebäuden, ein Schiffscontainer mit einem Gewächshaus obendrauf. Darin gedeihen vor allem Tomaten. Unten, in einem großen Aquarium schwimmen bald wieder rund 100 Zander. Daher der Name, Tomatenfische.

Auf den zweiten Blick entpuppt sich die Farm im Süden der Hauptstadt als ehrgeizigstes Projekt seiner Art. War es bisher aber nur ein kleines Pilotprojekt in Containergröße, kommt nun die nächste Stufe.

Denn das Startup ECF-Farmsystems, das die Stadtfarm betreibt und die nötige Technik entwickelt hat, baut nun auf einer Wiese neben der Malzfabrik eine kommerzielle Stadtfarm - die erste in Europa und wohl auch weltweit, in der gleichzeitig Gemüse und Fische wachsen. Im Fachsprech nennt sich diese Art der Landwirtschaft Aquaponik.

1800 Quadratmeter soll die Anlage der drei Gründer Christian Echternacht, Nicolas Leschke und Karoline vom Böckel groß werden und 25 Tonnen Fisch und 35 Tonnen Gemüse pro Jahr liefern. Zwar gibt es in Metropolen weltweit schon ähnlich große Stadtfarm-Projekte, doch keines kombiniert die Fischzucht mit dem Gemüseanbau.

15 Euro pro Kilo StadtfischErst vor einigen Wochen bekam ECF die Zusage eines privaten Investors und der IBB Beteiligungsgesellschaft (ein Wagniskapitalgeber der Länder Berlin und Brandenburg) für die siebenstellige Investitionssumme. Baubeginn ist im Sommer dieses Jahres. Ab 2015 dann sollen Privatpersonen Gemüsekisten aus der Stadtfarm bestellen können, der Fisch soll an Restaurants gehen.

Die Preise für die hyperregionalen Lebensmittel: Das Abo für die Gemüsekisten kostet 60 Euro pro Monat, der Fisch pro Kilogramm rund 15 Euro.

Was aber bringt der Aufwand: Ist ein Feld auf dem platten Land nicht billiger? Das Essen von dort nicht gesünder? Eine Teichzucht für Fische nicht umweltschonender? Die überraschende Antwort lautet: Nein.

Denn die Verdauungsreste der Tiere werden zum Dünger für die Pflanzen, die nebenan wachsen. Was Bauern seit Jahrhunderten mit Gülle anstellen, passiert in der ECF-Farm im Kleinen.

Natürliche Landwirtschaft wirkt dagegen wie UmweltfrevelDas Wasser aus der Fischzucht wird gefiltert und als Nährstofflösung in das Gewächshaus geleitet. Das Gemüse in Berlin kommt dabei ohne Erde aus. Stattdessen wachsen die Tomaten, Auberginen, Zucchini, Salate und Kräuter in der Nährstofflösung. Auf Dünger kann ECF fast komplett verzichten. Mehr Bio geht nicht.

Die Vorteile des Systems in Zahlen: Durch die kombinierte Gemüse- und Fischproduktion wird bis zu 90 Prozent weniger Wasser vebraucht. Der Vergleich sind normale Gewächshäuser mit getrennten Aquafarmen. Hinzu kommt: Pflanzen in Nährlösung zu ziehen, benötigt bis zu 70 Prozent weniger Fläche als herkömmliche Landwirtschaft, weil die Erträge größer sind. Gegen das Projekt Tomatenfisch wirkt die in Feld und Teich getrennte natürliche Landwirtschaft wie Umweltfrevel.

Ausgedacht hat sich das System samt dem eigenwilligen Namen "Tomatenfische" Werner Kloas, Professor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin (hier gibt es weitere Infos zu seinem Projekt). ECF hat die Technik lizensiert und seit der Gründung des Startups im Jahr 2012 auf die Kommerzialisierung vorbereitet.

Das Ziel der ECF-Gründer: Eigentlich wollen sie nicht den Fisch und das Gemüse verkaufen, sondern die Technik. Dass sie funktioniert und das auch Gewinn bringend, soll die Farm auf der Wiese in Tempelhof beweisen.

Vielleicht übernimmt ECF aber auch ein Vorbild aus den USA: Dort betreibt das Startup Brightfarms in den Metropolen Stadtfarmen und Gewächshäuser.

Das Geschäftsmodell dabei: Supermärkte gehen Kaufverträge über 10 Jahre ein, das sichert die Finanzierung der Projekte. Die Kunden jedenfalls sind laut Aussage der Handelsketten begeistert, denn regionaler und frischer können sie nicht einkaufen.

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