Ersatz für Fleisch, Eier, Milch Die Zukunft isst vegan

Noch mehr Massentierhaltung muss nicht sein.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wäre er das Ende des Hungers auf der Welt? Ein Baum, der in Salzwasser wächst, dessen Früchte viel nahrhaftes Eiweiß liefern, das auch noch wertvoller ist als das aus Soja? Die zudem vitaminreich sind, Stärke und wertvolle Mineralien enthalten?

Es gibt eine Wunderpflanze, die all diese begehrten Eigenschaften besitzt: der Brotfruchtbaum. In Europa weitgehend unbekannt, ist er ins Visier vieler Forscher geraten. Der Baum wird bis zu 20 Meter hoch, entwickelt eine mächtige Krone und ist mit seinen bis zu einem Meter langen, grün glänzenden Blättern eine imposante Erscheinung. Er wächst vor allem im südpazifischen Raum, wo seine bis zu zwei Kilogramm schweren Brotfrüchte als Grundnahrungsmittel gelten.

Fleischhunger wächst – doch es gibt AlternativenDas Problem: Ihr streng süßer Geschmack macht die Früchte wenig tauglich für den Massenmarkt. Deshalb sucht die Biologin Nyree Zerega von der Northwestern University in Chicago seit Jahren nach Brotbaumsorten, die besser schmecken. Und deren Eiweiße auf dem Weltmarkt gefragt sind. Eine aufwendige Analyse der Erbsubstanz der Pflanzen führte sie schließlich nach Neuguinea. Dort fand sie eine kleinere Brotnuss, die der Urahn aller Brotfruchtbäume ist. Der will sie nun den Wohlgeschmack anzüchten.

Außerdem stießen die Forscher auf Sorten, die sogar auf sonst lebensfeindlichen salzigen Böden gut gedeihen. Das wäre ein enormer Fortschritt in einer Region wie dem Südpazifik, wo durch die globale Erwärmung der Meeresspiegel steigt und einst fruchtbare Böden zunehmend versalzen. Ließen sich Wohlgeschmack und Salztoleranz kreuzen und würde die Pflanze dann auch noch in Massen wachsen, könnte sie die Basis für den Fleischersatz der Zukunft liefern.

So abenteuerlich sie mitunter erscheinen – Ideen wie die von Zerega braucht die Menschheit dringend. Denn vor allem die Mittelschichten in China, Indien, Russland und Brasilien heizen derzeit die Nachfrage nach Fleisch, Eiern, Milch und Käse massiv an. Allein seit 1990 hat sich der globale Fleischkonsum verdoppelt. Schon heute schädigt er massiv die Umwelt: Wälder müssen Feldern weichen, der Wasserverbrauch steigt, und die Verdauungsgase der Tiere beschleunigen den Klimawandel. Bereits jetzt beansprucht die Viehhaltung rund 70 Prozent der globalen Äcker und Weiden.

Die Tiere fressen den Menschen sprichwörtlich das Essen weg. Denn um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen, sind drei Kalorien pflanzliches Futter notwendig. Auch wenn es nicht mehr die Schlagzeilen dominiert: Auf der Erde hungern noch immer 800 Millionen Menschen. Sie satt zu kriegen wird kaum gelingen, wenn der Fleischkonsum weiter steigt.

Zellkulturen brauen MilchDas weiß auch Ryan Pandya. Sein Schlüsselerlebnis hatte der amerikanische Bioingenieur, als er einfach nur hungrig war. Der 22-Jährige biss erwartungsfroh in einen Bagel, der mit etwas belegt war, das Käse sein sollte. Doch der schmeckte schlicht „enttäuschend“. Für den überzeugten Veganer war es der letzte Versuch mit einem der gängigen Milch- und Käseimitate. „Warum eigentlich nicht richtige Milch herstellen?“, dachte sich Pandya. Nur eben ohne Kuh.

Praktischerweise kennt er sich mit den wichtigsten Bestandteilen der Milch ziemlich gut aus. Als Forscher an einer Bostoner Medizinhochschule züchtete er Zellen, die große Proteine herstellten. Nun zählen die meisten Eiweiße in der Milch zu den am simpelsten gebauten in der Natur.

Nur sechs Proteine und acht Fette sind für den typischen Geschmack und die Cremigkeit der Milch sowie von Käse, Sahne und Joghurt verantwortlich. Pandya war überzeugt: Die Herstellung von Milch ohne Kühe ist möglich. Und gründete in Kalifornien sein Start-up Muufri. Ähnlich wie bei der Bierherstellung, wo Hefen aus Zucker Alkohol und Kohlendioxid erzeugen, will Pandya Milch brauen.

Da viele Menschen den Milchzucker Laktose nicht vertragen, fehlt er bei der Laborschöpfung, ebenso Cholesterin. Und weil die Kunstmilch bakterienfrei ist, muss der Wahl-Kalifornier Pandya sie nicht pasteurisieren und kühlen. Sein Produkt, verspricht er, wird zudem billiger sein als herkömmliche Milch. Noch in diesem Jahr will er mit der Produktion starten.

Henne-Ei-Problem gelöstPandya ist mit seiner Mission nicht allein, die Welternährung nachhaltiger zu machen. Ähnlich radikale Ideen hat auch Josh Tetrick. Der 33-jährige Amerikaner will Eier ohne Hühner auf den Frühstückstisch bringen. Aus Respekt vor den Lebewesen, aber auch, weil die Massentierhaltung Krankheiten wie die Vogelgrippe auslöse, mahnt er. Zudem wird für jede Energieeinheit, die im Ei steckt, 39 Mal so viel Energie in der Herstellung aufgewendet. „Das kann nicht die Zukunft sein“, findet Tetrick.

In einem alten Lagerhaus in San Francisco tüftelt er mit rund 50 Mitarbeitern seines Start-ups Hampton Creek Foods derzeit an seinem Eiersatz. Immerhin riecht es in der Halle schon mal entsprechend – denn immer wieder brutzelt das Kunstei zu Testzwecken in der Küche. 2500 Pflanzen, vor allem Bohnen und Getreide, haben Tetrick und sein Team auf der Suche nach den idealen Grundstoffen getestet.

22 Eigenschaften haben sie identifiziert, die der Ersatz erfüllen muss: In der Pfanne muss er zum Beispiel stocken, er soll Kekse braun werden lassen, Mehl zusammenkleben und Kuchen locker machen. Außerdem muss er Wasser und Öl binden für Mayonnaise.

Das Ergebnis ist eine glänzende, schwabbelnde und hellgelbe Masse. Sie sieht aus wie echtes Rührei und soll auch so schmecken. Sie enthält genauso viele Vitamine wie das Original, aber kein Cholesterin. Sinnigerweise hat Tetrick es Beyond Eggs, also jenseits von Eiern, getauft.

In sein Start-up haben bereits die Bill Gates Foundation und große Wagniskapitalfirmen aus dem Silicon Valley investiert. Sein Kunstprodukt kostet nur halb so viel wie herkömmliche Eier. Der Veganer Bill Gates soll es schon probiert und für gut befunden haben. Für Mayonnaise funktioniert Tetricks Erfindung schon. Sie ist in vielen US-Supermärkten ein Verkaufsschlager. Auch in Keksen steckt das Kunstei bereits.

Ein paar Probleme gilt es aber noch zu lösen: So muss Tetrick die Menschen, die das morgendliche Spiegelei mit Dotter und Eiweiß lieben, davon überzeugen, auf seine breiartige Masse umzusteigen.

Huhnersatz aus Erbsen und Amaranth

Nicht nur für Milch und Eier, auch für Fleisch suchen Food-Ingenieure nach Ersatz aus pflanzlichen Eiweißen – die auch Liebhabern tierischer Produkte schmecken. Bisher halten Pflanzen wie Soja oder Erbsen als Eiweißlieferanten her – mit meist ernüchternden Ergebnissen. Von „gewürzter Wellpappe“ bis zu „ungenießbar“ lauten die Urteile bei Verkostungen. Zudem liest sich die Zutatenliste wie ein Auszug aus dem Chemiebaukasten, denn Ersatzstoffe wie Soja oder Seitan aus Weizen schmecken von Natur aus fad und brauchen jede Menge künstliche Geschmacksverstärker.

Das schreckt das Unternehmen Beyond Meat aus den USA trotzdem nicht ab. Es stellt aus Soja- und Erbseneiweiß sowie dem Getreide Amaranth Fleischersatz her, der wie Geflügel schmecken soll – was erste Verkostungen bestätigen. Ihr Huhn auf Pflanzenbasis gibt es aber bisher nur in den USA.

Es geht aber auch wesentlich teurer und aufwendiger, wie der Maastrichter Forscher Mark Post vergangenes Jahr gezeigt hat. Er ließ ein ausgewähltes Publikum in London in den teuersten Hamburger aller Zeiten beißen. Der 140 Gramm schwere Fleischklops kostete 300 000 Euro in der Herstellung und bestand aus Kulturfleisch. Dafür entnimmt Post Kühen Muskelstammzellen und vermehrt sie in einer Nährlösung. Sie wuchern zu einer glibberigen Substanz heran, die auf einem dreidimensionalen Gerüst weiterwächst.

Vom wahren Hamburger, berichten Tester, sei das Ergebnis noch etwas entfernt. Kein Wunder, denn in der Nährlösung wachsen nur Muskelzellen, aber keine Fettzellen. Die aber geben dem Fleisch seine Textur und seinen charakteristischen Geschmack.

Doch der Retortenburger hat etwas anderes Wichtiges bewiesen: „Fleisch ist im Labor herstellbar“, sagt Hanni Rützler, österreichische Lebensmittelforscherin, die an dem Test teilgenommen hat. Sie hat mit Genuss in den Burger gebissen – weil für ihn kein Tier getötet werden musste.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%