Echter Umweltschutz oder billiger Kundenfang? Adidas will Meeresplastik recyceln

Adidas will Müll aus den Meeren fischen und daraus T-Shirts machen. Kritiker wittern Greenwashing.

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Der 20-Jährige Boyan Slat aus den Niederlanden ist derzeit wahrscheinlich einer der bekanntesten Umweltaktivisten der Welt. Denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ozeane von Plastikmüll zu befreien. Jetzt findet er mit der Idee auch auf Unternehmensseite Nachahmer.

Der deutsche Sportartikelhersteller Adidas will nicht nur Plastikabfall aus den Meeren fischen. Er will daraus künftig auch neue Produkte herstellen. Zusammenarbeiten will der Konzern aus Herzogenaurach dabei mit der Organisation „Parley for the Oceans“, die sich der Rettung der Ozeane verschrieben hat.

Erste Produkte im Sommer 2016Ab 2016 soll die Partnerschaft laut einer Konzern-Meldung „die Herstellung innovativer Produkte und die Integration von Materialien aus Meeresplastikabfall in das Adidas Produktangebot beschleunigen“.

Laut Informationen von ZEIT ONLINE könnte das Altplastik in T-Shirts, Sweatshirts, Trainingsanzügen oder auch den Oberseiten von Schuhen verarbeitet sein. Mitte des kommenden Jahres sollen die ersten Exemplare in den Regalen liegen. 

Außerdem will Adidas Plastiktüten aus seinen knapp 3000 Shops verbannen. Bis wann, dazu sagt der Konzern nichts.

Adidas ist nicht das erste Unternehmen, das aus Plastik-Treibgut Produkt-Rohstoffe gewinnen will.

Schon im vergangenen Jahr brachte die niederländische Modemarke G-Star gemeinsam mit der Firma Bionic Yarn eine Jeanskollektion auf den Markt, die zum Teil aus Meeresplastikmüll besteht. Bionic Yarn ist darauf spezialisiert, aus Altplastik Garne herzustellen – der Musikstar Pharrel Williams ist dort Kreativchef.

Auch die Outdoormarke The North Face wirbt damit, Kleidung aus alten Plastikflaschen zu fertigen (wir berichteten).

Adidas treibt den Teufel mit dem Beelzebub ausSolche Initiativen klingen erst einmal gut. Doch sind sie tatsächlich Beispiele für seriöses Upcycling?

Nein, meint Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Aus seiner Sicht handelt es sich um eine bloße Werbemaßnahme, mit der Adidas den Meeren auch noch einen Bärendienst erweist.

Im Ozean oder am Strand gesammelter Kunststoffmüll eigne sich nicht für die Herstellung hochwertiger Textilfasern, sagt Resch. So zeigte der irische Meeresbiologe Mark Browne schon 2012 in einer Studie, dass sich etwa bei Polyesterfasern aus PET-Flaschen beim Waschen Mikroplastikpartikel lösen. Diese gelangen in die Gewässer und schließlich in die Meere. Damit würde der Müll dorthin zurückkehren, wo er eigentlich dauerhaft entfernt werden soll.

Auch Manfred Santen, Chemieexperte von Greenpeace, sieht in der Aktion allenfalls "einen kleinen Schritt in die richtige Richtung". Für ihn seien vielmehr "international organisierte Initiativen erforderlich, die den Eintrag von Makro- und Mikroplastik in die Ozeane über Land und Flussmündungen unterbinden".

Treibt Adidas den Teufel mit dem Beelzebub aus? Es scheint fast so. Auch weil der Konzern viele Fragen unbeantwortet lässt.

Etwa, wie das Unternehmen tatsächlich verhindern will, dass die Recyclingaktion Mikroplastik zurück in die Meere spült? Oder wie es den Ozean-Abfall sortieren und aufbereiten will, ohne dabei unverhältnismäßig viel Energie zu verbrauchen?

Denn in den Gewässern treiben unzählige Kunststoffsorten unterschiedlichster Farben, Formen und Festigkeiten. Diese müssen Maschinen oder Arbeiter erst aufwändig sortieren, bevor man sie für ein Recycling aufbereiten kann.

"Es ist angesichts der homöopathische Mengen und der schlechten Qualität der im Ozean treibenden Kunststoffe Quatsch, daraus Kunststofffasern herzustellen, um sie später in Produkten zu verarbeiten. Das ist nur eine Scheinlösung für das Plastikmüllproblem im Meer", meint Resch.

Allerdings, mag nun manch einer einwenden: Es ist immerhin besser als nichts zu tun. Denn ließen sich aus dem Meeresplastik wirklich Produkte fertigen, die Gewinn erzielen und würde dieser Gewinn wiederum genutzt, um Müll aus dem Meer zu fischen, wäre den Ozeanen zumindest ein bisschen geholfen.

Adidas: "kein Greenwashing"

Außerdem ist bisher offen, ob die Kleidungsstücke später wieder recycelt werden können. Denn Kunststoffe sind nur dann ökologisch effizient, wenn sie in einem geschlossenen Kreislauf verbleiben und nicht nach Gebrauch in die Umwelt gelangen.

Ein gutes Beispiel sind laut Resch Mehrweg-Getränkekästen, die sich einfach einschmelzen, neu formen und wiederverwenden lassen.

Werden hingegen Mischkunststoffe in Textilien verarbeitet, die sich später nicht mehr nutzen lassen, spricht man von "Downcycling". Es entsteht entweder ein minderwertiges Produkt, das sich nicht zum Wiedergebrauch eignet oder der Kunststoff landet gleich in der Verbrennung.

Was mit den Adidas-Produkten aus Meeresplastik nach ihrem Gebrauch passieren soll? Auch dazu ist nichts zu erfahren. Den Müll einsammeln, sollen laut Adidas lokale Organisationen, die mit Parley for the Oceans zusammenarbeiten.

Auf die Greenwashing-Vorwürfe der DUH entgegnet eine Adidas-Sprecherin, man stünde erst ganz am Anfang und forsche mit dem Partner an sinnvollen Lösungen. Ergebnisse wolle man möglichst schnell nachliefern.

Adidas hat seine Hausaufgaben nicht gemachtEs versteht sich von selbst, dass zu Beginn eines Projektes keine Patenrezepte vorliegen können. Warum Adidas mit seiner Ankündigung "zu einer großartigen Umweltschutzmaßnahme beizutragen" aber nicht wartet, bis konkrete Aussagen möglich sind, ein grober Zeitplan und erste Ergebnisse vorliegen, das weiß nur das Unternehmen selbst.

Laut der Adidas-Sprecherin wolle das Unternehmen ein Bewusstsein für das Plastikproblem in den Meeren schaffen. Mag sein. Vielleicht hat der Sportartikelhersteller aber auch einfach ein emotionales Thema besetzen wollen, um Kunden zu ködern. Seine Hausaufgaben will es später machen.

Resch wirft dem Unternehmen deshalb vor: "Wenn man nichts vorzuweisen hat, sollte man besser schweigen. Mich ärgert, dass Adidas suggeriert, es mache nichts, Plastikabfälle zu produzieren, da man hieraus Markentextilien herstellen könne. Das ist nicht lauter. T-Shirts mit ein paar Gramm Altplastik helfen nicht gegen Meeresverschmutzung."

Adidas scheint damit in eine Falle getappt zu sein, wie viele andere große Unternehmen vorher auch schon. Nachhaltigkeitsmaßnahmen werden von den Marketingabteilungen des Unternehmens groß angekündigt, obwohl wichtige Fragen der Nachhaltigkeit nicht abschließend geklärt sind.

Eigentlich müsste Adidas es besser wissen. Denn der Konzern tut einiges im Bereich Nachhaltigkeit. Greenpeace-Experte Manfred Santen hält dem Unternehmen zugute, dass es sich mittlerweile dafür einsetzt, "gefährliche Chemikalien" aus seiner Textilproduktion zu eliminieren.

Außerdem verwende das Unternehmen wassersparende Methoden, um Textilien einzufärben und habe seine Lieferkette hin zu einer sauberen Produktion verändert.

Ob das Unternehmen mit seiner Kommunikation in punkto Meeresplastik diese Leistungen konterkariert, ist eine andere Frage.

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Gut gemeint, schlecht gemacht? Bei WiWo Green widmen wir uns regelmäßig vermeintlich umweltfreundlichen Initiativen, Gesetzen und Projekten, die mehr schaden als nutzen. Hinweise nehmen wir gern entgegen.

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