Craft der Kleinen Mini-Brauer bringen die Liebe zum Bier zurück

Mit handgemachtem Craft Bier wollen Brauer eine Nische besetzen - und mehr Wertschätzung für Lebensmittel schaffen.

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Wer noch vor einigen Jahren Dortmunder Bergmann Bier kaufen wollte, durfte nicht allzu durstig kommen. Am Brauerei-Kiosk in der Innenstadt gab es nur eine Flasche pro Person. "Die Verkaufsbeschränkung war notwendig, weil wir am Anfang nur in sehr kleinen Mengen abfüllen konnten", erklärt Thomas Raphael, der die Brauerei als Hobby betreibt.

Möglichst viele "Fans" - Raphael spricht nicht von Kunden - sollten in den Genuss des Bieres kommen. Geschadet hat es dem Unternehmen nicht: Bergmann feiert im Kleinen riesige Erfolge. Der Ausstoß wächst seit der Wiederbelebung der traditionsreichen Dortmunder Marke im Jahr 2007 jährlich um etwa 20 Prozent.

Eine Verkaufsbeschränkung ist nicht mehr nötig. Heute ist Bergmann das einzige Bier aus Dortmund - einst Welthauptstadt des Bieres -, das nicht von der Radeberger-Gruppe aufgekauft wurde und nun unter dem Dach der Oetker-Gruppe gebraut wird. Und das einzige, für das in Dortmund demnächst ein neues Brauhaus errichtet wird, während andere Braustätten mit einst großen Namen inzwischen abgerissen wurden.

Raphael hat für die Zukunft seiner Brauerei ein klares Ziel vor Augen: Ein Prozent des Dortmunder Biermarktes soll Bergmann Bier gehören - das entspricht etwa 7.000 Hektoliter oder einer Kiste pro Einwohner Dortmunds im Jahr. Dann soll Schluss sein mit Wachsen. "Lieber mal eins weniger, dafür eins besser", heißt es auf der Website der Bergmann-Brauerei.

Für Raphael, selbstständiger Biologe in der Lebensmittelbranche, und sein Team sind das Geschmackserlebnis und der Beitrag zum Erhalt der regionalen Bierkultur der Antrieb, sich an den Braukessel zu stellen. Deshalb braut er nun wieder Adambier, ein Starkbier, das in Dortmund schon im Mittelalter getrunken wurde. "Nur im kleinen Maßstab können wir die Biere realisieren, an denen wir und unsere Fans Spaß haben", sagt Raphael. "Masse können andere besser."

Die Großen kämpfen gegen den AbsatzrückgangKrombacher zum Beispiel. Im südwestfälischen Kreuztal-Krombach wird das liebste Pils der Deutschen hergestellt. Gut 4,2 Millionen Hektoliter setzte Krombacher davon im Jahr 2014 ab, jedes zehnte Pils in Deutschland kommt aus Krombach. Täglich verlassen eine halbe Million Bierkisten die Abfüllanlage - etwa so viele, wie Bergmann in einem Jahr verkaufen will.

Anders als andere große Marken konnten die Südwestfalen ihren Bier-Absatz fast auf Vorjahresniveau stabilisieren. Das ist ganz ordentlich, denn manch ein Konkurrent kämpft mit Absatzrückgängen von bis zu 10 Prozent. Und das trotz guter Bedingungen im vergangenen Jahr: ausreichend Sommerwetter und eine Fußball-WM, für die viele Brauereien Sonderschichten gefahren haben.

Doch unterm Strich tranken die Deutschen auch 2014 wieder weniger Bier - durchschnittlich 107 Liter pro Kopf; knapp 40 Liter weniger als noch 1980. Deshalb sichern alle größeren Brauereien ihren Umsatz heute mit nicht-alkoholischen Getränken. Zu Krombacher etwa gehören seit einigen Jahren auch die Szene-Limos von Schweppes. Der der Bierdurst der Deutschen schwindet, jedoch nicht zum Nachteil der kleinen Brauereien.

Wieder mehr Brauereien in DeutschlandJede Woche kommt mindestens eine neue Marke in Biergärten und Getränkemärkte, hat der Deutsche Brauer-Bund ermittelt. Etwa 5.500 Marken gibt es in Deutschland zu kaufen. "Während die Zahl kleiner Bäckereien und Fleischereien abnimmt, sind in den letzten zehn Jahren mehr als 70 kleine, regionale Brauereien entstanden", sagt Daniel Schock vom Brauer-Bund.

Fast alle dieser neuen oder wieder entdeckten Marken sind unter der Bezeichnung "Craft Bier" versammelt. So werden Biere mit besonders hopfen- oder malzbetontem Aroma genannt, die aus handwerklicher Herstellung kommen (craft = engl. Handwerk) und in kleinen Mengen meist nur regional vertrieben werden. So wie das Bergmann Bier: "Unser Projekt wurde mit Ruhrgebietsmentalität gegründet und wäre so anderswo nicht möglich gewesen", sagt der gebürtige Dortmunder Raphael.

Der oft ungewöhnliche Geschmack und eine Geschichte zur Herkunft und Herstellung des Produktes, das ist das Erfolgsrezept von Craft Bier. Dessen Fans sind bereit, sich das auch etwas kosten zu lassen. Ein Adambier aus dem Kessel von Thomas Raphael kostet mit etwa neun Euro pro 0,75 Liter-Flasche mehr als so mancher Wein.

In der Liebhaber-Nische lassen sich für Bier Preise erzielen, von denen die großen Brauereien nur träumen können. Jede Preiserhöhung für einen Kasten Krombacher, Radeberger, Veltins und Co. treibt dagegen die Verbraucher zur Konkurrenz, wo es ein ganz ähnliches Bier gibt. Das Problem: Verbraucher nehmen die Produkte der Großbrauereien geschmacklich als austauschbar wahr; unter den Craft Bier-Trinkern gilt das sowieso. Statt "seelenlosem Massenbier", wie ein Besucher am Bergmann-Kiosk sagt, wollen Sie lieber ein Getränk mit Charakter und Bezug zur Region. Dafür kann es dann auch mal nur eins am Abend sein.

Wie öko ist Craft?Craft Bier und Öko-Lifestyle passen für viele Bierfreunde gut zusammen. Doch dass Craft Bier nachhaltiger ist, ist nicht unbedingt gesagt. Die Rohstoffe, die an deutsche Brauereien geliefert werden – egal ob hier industriell oder handwerklich gebraut wird – kommen immerhin meist aus Deutschland. Manche Craft-Brauer importieren Hopfen allerdings aus den USA, wo besondere Sorten gezüchtet werden, die für den Geschmack wichtig sind.

Auch die Verwendung von Bio-Rohstoffen ist in deutschen Brauereien die Ausnahme. "Wir schätzen die Zahl der Bio-Brauereien in Deutschland auf zehn bis 20", sagt Daniel Schock vom Deutschen Brauer Bund. Dem Segment traue man kaum Wachstum zu, weil Bier von Verbrauchern wegen des Reinheitsgebotes ohnehin als natürliches Produkt wahrgenommen werde.

Einen ökologischen Vorteil gibt es aber doch, er liegt in der Beschränkung des Vertriebsgebietes. Denn der Transport der Mehrwegflaschen macht einen großen Teil in der Ökobilanz der Bierherstellung aus. Wie eine Untersuchung der Unternehmensberatung Deloitte im letzten Jahr feststellte, beträgt die durchschnittliche Transportentfernung für den Hin- und Rückweg von Bierflaschen 437 Kilometer. Für Individualflaschen mit eigenen markenspezifischen Prägungen im Glas kommen hier noch einmal 100 Kilometer dazu, weil diese Flaschen nur von einem Hersteller genutzt werden können und nicht in der nächstgelegenen Abfüllanlage zum Einsatz kommen.

Die Kleinbrauereien verzichten darauf, weil es kostspielig ist und eine enorme Logistik für die Leergutrückführung erfordert. Der Aufwand für die Leergut-Logistik ist auch der Grund, warum Bergmann auf den überregionalen Vertrieb verzichtet, wie Geschäftsführer Raphael sagt. Zwischen Schmallenberg im Sauerland und Oberhausen ist Bergmann Bier in etwa 40 Läden zu bekommen. Das entspricht einem Radius von etwa 60 Kilometern rund um die Brauerei.

Emotionen in der (Pfand-)FlascheDie Nähe hat noch einen weiteren Vorteil: "Bei vielen Biertrinkern existiert eine emotionale Bindung zur Brauerei vor Ort", erklärt Brauer-Bund Sprecher Schock deren Erfolg. Das gelte für die vielen alteingesessenen Brauhäuser in Deutschland, aber eben auch für die Craft Biere, die - wie Bergmann - mal auf alte Brautraditionen der Region zurückgreifen, mal Hopfen, Malz, Hefe und Wasser ganz neu zusammenbrauen.

Für Kleinbrauereien ist für den Erfolg entscheidend, dass sie als Bier mit Bezug zur Region wahrgenommen werden, in der das Bier gebraut und vertrieben wird. Doch auch die Qualität spielt bei der Popularität von Craft Bier eine Rolle.

Neue Wertschätzung für LebensmittelDie Craft Klientel zeichnet sich – neben der Verbundenheit mit der Region – auch durch Wertschätzung für die handwerkliche Herstellung von Lebensmitteln aus. Wenn Qualität- und Geschmack stimmen, ist bei denjenigen Verbrauchern, die es sich leisten können und wollen die Bereitschaft da, höhere Preise zu bezahlen.

Für Erzeuger und Hersteller eine gute Entwicklung in Zeiten, in denen französische Bauern wegen der Ramsch-Preise für ihre Produkte protestieren und in Deutschland der Brandbrief eines Bauern vom Niederrhein gegen Geiz-ist-Geil-Mentalität der Verbraucher polemisiert.

Selbst die großen Brauereien können dem Erfolg der Craft-Konkurrenz etwas abgewinnen. Franz-Josef Weihrauch von Krombacher etwa betrachtet den Trend etwas distanziert als "Inszenierung um die Kategorie Bier", den man aber grundsätzlich positiv sehe. Bergmann-Chef Thomas Raphael ist überzeugt, dass die Popularität von Craft Bier dem ganzen Markt gut tun werde: "Bier wird aufgewertet. Und das hat es in Zeiten, in denen man einen Kasten für fünf Euro kaufen kann, auch bitter nötig."

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Dieser Text ist Teil der Reihe “Die Zukunft vor der Haustür: Grüne Innovationen aus den Regionen”, die im Rahmen einer Kooperation zwischen WiWo Green und dem Studium Nachhaltigkeit und Journalismus der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

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