Bolivien Das Sterben der Gletscher

Der Chacaltaya ist das Symbol für den Klimawandel in Bolivien. Bis vor rund zehn Jahren lag hier das höchste Skigebiet der Welt. Doch der Gletscher ist weg.

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Der Chacaltaya - das höchste Skigebiet der Welt. So warben bis vor wenigen Jahren Reiseführer für einen Besuch des Gletschers. Um 1940 wurde hier, rund 25 Kilometer vom bolivianischen Regierungssitz La Paz entfernt, der erste Skilift Südamerikas eröffnet. Noch 2001 fanden Abfahrt-Wettbewerbe statt. Wer den Gletscher heute besucht, sieht davon fast nichts mehr. Je nach Jahreszeit sind ein paar Stellen des 5.400 Meter hohen Berges mit wenigen Zentimetern Schnee bedeckt, doch an Skifahren ist nicht mehr zu denken. Nur die Pfähle und Seile des Lifts erinnern an die alten Zeiten.

Weltweit schmelzen die Gletscher derzeit in Rekordgeschwindigkeit. Das trifft auch und insbesondere die Anden: Nach Angaben des Bolivian Mountain Institutes (BMI) ging die Eisdecke des Chacaltaya zwischen 1940 und 1982 durchschnittlich um einen knappen Meter pro Jahr zurück, zwischen 1982 und 1993 um sechs Meter jährlich. Danach ging es sogar noch schneller. Andere tropische Gletscher in Bolivien und Peru haben ähnliche Raten vorzuweisen. Durchschnittlich haben die bolivianischen Gletscher in den letzten 35 Jahren rund 50 Prozent ihrer Masse verloren. Der Chacaltaya wird nicht der letzte Gletscher sein, der kein Gletscher mehr ist. Das ist schade für Skifahrer. Aber es ist vor allem dramatisch für die Menschen, die vom Schmelzwasser der Gletscher abhängig sind.

Samuel Mendoza lebt seit Jahrzehnten auf dem Chacaltaya. Er leitet die Berghütte, in der früher Skifahrer einkehrten. Jetzt kommen nur noch Wandergruppen. „Für uns ist es sehr traurig, auf unserem Berg zu leben, denn wir haben kein Wasser mehr”, sagt Samuel. „Früher hatten wir viel Schnee, wir haben ihn gesammelt und in einer Hütte aufgetaut. Dann wurde das Tauwasser mit einem Rohr ins Haus geleitet. Jetzt gibt es keinen Schnee mehr, nur noch Fels. Also haben wir kein Wasser zum Trinken oder für die Bäder. Wir müssen es in La Paz kaufen.”

Nicht nur direkt auf dem Berg macht sich die Veränderung bemerkbar. Viele Regionen im Hochland sind auf das Wasser der Gletscher angewiesen. In der Trockenzeit ist es oftmals die einzige Wasserquelle. „In den Dörfern verdursten die Tiere, weil es zu trocken ist. Die Lagune dort unten ist vor ein paar Jahren zum ersten Mal komplett ausgetrocknet”, erzählt Samuel mit Blick auf das Tal.

Entwaldung beschleunigt die SchmelzeBeim Chacaltaya lässt sich schon beobachten, was es bedeutet, wenn der Berg kein Wasser mehr abgibt. Bei anderen Gletschern in den Anden steht das erst noch bevor – was kurzfristig zu umgekehrten Bedingungen führt: „Momentan gibt es ein Paradoxon: Da die Gletscher so schnell abschmelzen, steht derzeit vielfach sogar mehr Wasser zur Verfügung als sonst”, so Dirk Hoffmann, Leiter des BMI. Aber das wird nicht lange so bleiben. Wenn der Großteil des Eises weg ist, wird nur noch wenig Wasser den Berg hinabfließen. Und irgendwann dann gar keins mehr. „Dann wird die Viehzucht im hohen Gebirgsland nicht mehr möglich sein, weil die Vegetation vertrocknet”, sagt Hoffmann.

Diese Entwicklung ist wohl kaum noch aufzuhalten. Denn sie findet mit Verspätung statt. Die globale Erwärmung, hauptsächlich durch Treibhausgasemissionen verursacht, setzt erst langsam so richtig ein. Hinzu kommen die Abwärme der nahe gelegenen Städte, die Veränderung des Wetterphänomens El Niño – und die Auswirkungen der Entwaldung im Amazonasgebiet.

2011 wurde hoch oben auf dem Chacaltaya eine internationale Forschungsstation eingeweiht. Sie soll erstmals ganz genaue Daten liefern – zur Temperatur auf dem Berg, zu Niederschlägen, zur Konzentration von Kohlendioxid und Ozon in der Luft und anderen wichtigen Parametern. Die Erkenntnisse sind nicht nur für das bolivianische Hochland von Interesse, sondern könnten für Klimaforscher weltweit von Bedeutung sein. Es gibt nicht viele Forschungszentren in vergleichbarer Lage.

Noch gibt es nur wenige gesicherte Ergebnisse, dafür sind die Datenreihen zu kurz. Aber zumindest eines lässt sich jetzt schon klar erkennen: Der Einfluss der Entwaldung und der Rodungsfeuer im Regenwald sind bis hier oben messbar. „Man denkt nicht, dass auf dem Chacaltaya etwas davon ankommt, wenn im Amazonasgebiet Wald abgebrannt wird. Aber es kommt an. Und das ist das Problem. Denn diese Partikel setzen sich über dem Gletscher ab und verändern die Wärmereflektion, also kann der Gletscher schneller abschmelzen”, sagt Ricardo Forno, Forscher am Labor für Atmosphärenphysik. Es gehört zur Universität Mayor de San Andrés, die das Forschungszentrum mitaufgebaut hat.

Die Entwaldung im Tiefland Boliviens beeinflusst also selbst auf den Gipfeln der Anden noch die Atmosphäre. Und sie erhöht dadurch nicht nur die Temperatur. Die Partikel, die bei den Waldbränden freigesetzt werden, können auch die Niederschläge verändern. Damit sich Regenwolken bilden, braucht es eine bestimmte Zusammensetzung der Luft. Die Partikel, die durch die Waldbrände entstehen, verhindern das womöglich. Dann gibt es Wolken, aber keinen Regen.

In seiner Studie „Small Glaciers in the tropical Andes: a Case study in Bolivia” schreibt Edson Ramirez, Gletscherforscher der Universität Mayor de San Andrés, dass die Andengletscher, die ähnliche Bedingungen aufweisen wie der Chacaltaya, in den nächsten Jahrzehnten um 80 Prozent zurückgehen könnten. Das werde schwere Folgen für die Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke haben. Und ebenso für die Wasserversorgung der Landwirtschaft und der Privathaushalte.

So könnte die Gletscherschmelze auch für die Metropolregion La Paz/El Alto zum Problem werden. Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums bestehen ohnehin Zweifel an der Wasserversorgung der Millionenstädte. Wenn dann auch noch das Wasser der Gletscher ausbleibt, das laut Studien etwa 10 bis 15 Prozent des Bedarfs deckt, könnte sich die Situation zusätzlich verschärfen. Falls nicht doch noch ein Wunder geschieht. Samuel hat den Glauben daran noch nicht verloren: „Ich hoffe, dass der Schnee irgendwann zum Gletscher zurückkehrt.”

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