Bio reicht nicht mehr So sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus

Die Welt braucht eine Revolution auf dem Acker! Ein US-Farmer zeigt, wie sie aussehen könnte.

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Mittlerweile weiß niemand mehr, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Unbestritten ist jedoch, dass wir einen neuen Ansatz in der Lebensmittelproduktion brauchen.

Das nicht zuallererst, weil wir demnächst neun Milliarden Menschen auf dem Erdball zu ernähren haben (hier können wir in erster Linie durch die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit die richtigen Weichen für die Zukunft stellen).

Innovationen dringend gesucht



Es geht für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie in den kommenden Jahren vielmehr darum, ein Trilemma aufzulösen, das mittlerweile jedem gewöhnlichen Rewe-, Aldi- oder Edeka-Käufer bekannt ist: Klimawandel, steigender Energiebedarf, lokale Nahrungsmittelproduktion für Entwicklungsländer.

Das wichtigste Mittel, um dieses Trilemma zu lösen, sind dabei aber nicht Computer oder Maschinen – es ist der Boden.

Zurzeit ist die industrialisierte Landwirtschaft für ein Drittel des Ausstoßes an Treibhausgasen weltweit verantwortlich. In einigen Regionen Südeuropas gehen mehr als 80 Prozent des Wasserverbrauchs auf die Landwirtschaft zurück. Diese Zahlen belegen, dass es für Innovationen für eine Landwirtschaft 2.0 höchste Zeit ist.

Ausgerechnet aus Kalifornien kommen seit einiger Zeit bemerkenswerte Ansätze, die mit nachhaltiger Landwirtschaft ernst machen wollen. Der Sonnenstaat ist der Gemüsegarten der USA.

Die Hälfte aller Früchte und des gesamten Gemüses, sowie 90 Prozent aller Pflaumen, Artischocken, Walnüsse, Sellerie, Knoblauch und Kiwis kommen aus Kalifornien. Extreme Trockenheit hat im vergangenen Jahr jedoch zu Engpässen in der Wasserversorgung geführt.

Dramatische Bodenabsenkungen, die von der Trockenheit hervorgerufen wurden, trugen zu empfindlichen Missernten bei. Landwirtschaftliche Innovationen werden im Hightech-Staat also dringend gesucht. Aber wie geht Landwirtschaft 2.0. Muss auch hier das Silicon Valley helfen, soll auch hier Google die Welt retten?

Achtsame Landwirtschaft im 21. Jahrhundert

Nein, Landwirtschaft 2.0 in Kalifornien fängt, ganz gegen unsere Erwartung, an der Basis unseres Ökosystems an: beim Boden. Die Biodiversität von Ackerland ist so komplex, dass sie noch lange nicht von Forschern erfasst ist.

Insofern hat das Verstehen vieler landwirtschaftlicher Prozesse gerade erst begonnen. Aus Jahrhunderten gewonnene Produktionserfahrung zeigt jedoch, dass ein gesunder Boden das entscheidende Zukunfts-Asset ist: er bietet Mikroben einen Tummelplatz, der Feuchtigkeit speichert.

Feuchtigkeit wiederum versorgt Pflanzen mit Nährstoffen, die das Immunsystem der Gewächse stärkt. Diese nährstoffreichen Pflanzen wiederum stimulieren Mikroben in unserem Verdauungssystem, wenn wir sie essen, was letzten Endes auch unser Immunsystem stärkt. Das hat derzeit vielleicht niemand in den USA besser verstanden als Paul Kaiser, eine Art Steve Jobs des Landwirtschaft.

Für einen innovationsgetriebenen Farmer wie ihn dreht sich alles um Erde, also den richtigen Boden. Kaiser hat in den 1990er-Jahren in Gambia bahnbrechende Erfahrungen mit „achtsamer Bodenbebauung“ gemacht (hier ein kleiner Film zu Kaisers dortiger Singing Frog Farm). Er stellte fest, dass auch in extrem trockenen Gegenden mit wenigen Eingriffen ein fruchtbarer Boden kultivierbar ist.

Es gibt drei Ressourcen auf der Welt, die Leben und Wachstum schaffen: Sonne, Regen und Erde, aber nur eine dieser Ressourcen können wir beeinflussen: Erde. Erde verwandelt tote Materie in Fruchtbarkeit und Wachstum. Insofern ist es die große Verantwortung des Landwirts, nachhaltig mit dem Boden umzugehen.

Landwirtschaft 2.0, das ist das Ergebnis von Kaisers Studien in Afrika, Nord- und Mittelamerika, muss die Eigentätigkeit des Ökosystems Boden wahren, eher schützen als eingreifen (dass Paul Kaiser praktischer Missionar, kreativer Forscher, Keynotespeaker und erfolgreicher Gemüsebauer in einem ist, lässt sich auch auf seinem Blog nachvollziehen).

Kaiser erwirtschaftet mit seiner wasserarmen und fast maschinenfreien Methode in Kalifornien den zehnfachen Umsatz (100.000 US-Dollar auf einem 4.000 Quadratmeter großen Feld) im Vergleich mit dem kalifornischen Durchschnitt. Der Output ist enorm: Auf Kaisers Farm in Sebastopol nördlich von San Francisco werden insgesamt 32.000 Quadratmeter Land bearbeitet - mit höherem Gewinn als der Farmer von nebenan, wie Kaiser selbstbewusst behauptet, der über mehr als das Fünffache an Fläche verfügt. Kaiser brüstet sich auch über das Prinzip der Biolandwirtschaft hinausgegangen zu sein.

Auch Ökolandwirtschaft hat die Böden ruiniert

Ray Archuleta, Bodenexperte im US-Landwirtschafts-Department (USDA), ließ die Bio-Konsumenten in den Staaten kürzlich wissen, dass die meisten Böden der großen Öko-Bauern extrem zerschunden seien. Der Grund dafür: Es wird zwar weniger Chemie gespritzt, aber nicht völlig darauf verzichtet.

Abgesehen davon verfährt der Ökolandbau jedoch nach den gleichen Prinzipien wie die herkömmliche Landwirtschaft (exzessive Wassernutzung, maschinelles Pflügen, landwirtschaftliche Monokulturen, Schädlingsbekämpfung, die wichtige Mikroben ausrottet, Winterruhe, die das Ökosystem Feld abtötet).

Eine Studie der USDA aus dem Jahr 2010 spricht von maschinellem Pflügen als einem Hurrikan, Tornado und Erdbeben zugleich für die Nachhaltigkeit des Bodens (hier eine Präsentation von Archuleta). Öko-Visionär Kaiser pflügt seinen Boden einmal, nämlich dann, wenn er neues Land für die Bepflanzung vorbereitet und setzt mittlerweile überhaupt keine Sprinkleranlagen mehr ein, sondern ein ungleich sparsameres Rohrsystem, mit dem einmal pro Woche gewässert wird.

Sechs simple Schritte zu Landwirtschaft 2.0

Seit einiger Zeit rockt Kaiser die Landwirtschafts-Konferenzen in den Staaten. 2013 wurde der Ansatz dieser Landwirtschaft 2.0 vom US-Kongress ausdrücklich als Zukunftskonzept ausgezeichnet. Kaisers Modell beruht auf sechs simplen Arbeitserfahrungen und Grundüberzeugungen:

Erstens: Greife in das bestehende Ökosystem deines Bodens so wenig wie möglich ein. Pflügen, Lüften etc. zerstört essentielle Mikroorganismen im Boden. Das klingt fast esoterisch, ist aber leicht nachvollziehbar: Landbau der Zukunft sollte mit so wenig Maschineneinsatz wie möglich erfolgen, da auf diese Weise die Mikroorganismen ihre Arbeit tun können und dabei ein robustes Immunsystem des Bodens schaffen, das wiederum gesunde Lebensmittel ermöglicht.

Bei Landwirtschaft 2.0, wie sie von Kaiser betrieben wird, ist es nicht nur nachhaltig und produktiv, nicht den Pflug anzusetzen. Es fördert auch die Produktqualität von Obst und Gemüse, wenn Pflanzen und Wurzelwerk nach der Ernte auf dem Feld zurückgelassen werden.

Zweitens: Es ist ein fataler Mythos, davon auszugehen dass ertragreiche Landwirtschaft nur über gigantische Mengen von Wasser möglich ist. Während Öko-1.0-Farmer in Kalifornien nach wie vor Sprinkleranlagen rund um die Uhr im Einsatz haben, wobei ein Großteil des Wassers in den ersten Minuten verdampft, konnte Visionär Kaiser seinen Wasseraufwand innerhalb von fünf Jahren halbieren.

Was war in diesen fünf Jahren passiert? Das ist der Zeitraum, in dem Kaiser komplett auf das Pflügen verzichtete. Landwirtschaft 2.0 ist ein Leuchtturm der Nachhaltigkeit, weil sie die Robustheit des Bodens trainiert, nicht auf schnelle Erfolge zielt, also eher die Grundlage pflegt und optimiert, als nur auf die kurzfristigen Resultate zu schauen.

Drittens: Die Stimulierung mikrobiologischer Prozesse im Boden garantiert gigantische Produktivität. Kaiser baut keine Monokulturen an, sondern zieht bis zu sieben Gemüsesorten nebeneinander.

Auf Beschattung ist zu achten, denn so bleibt der Boden kalt und feucht, was das Wurzelwachstum fördert und Mikroben erlaubt, bis an die Oberfläche durchzuwandern, wo sie zusätzliche Nahrung finden. Die unsichtbaren Mikroorganismen sind für einen gesunden Boden deswegen so wichtig, weil sie tote Materie wie Steine und Geröll mit Wurzeln und anderem verdauen und in wertvollen Nährstoff umwandeln.

Viertens: Der effektivste Boden gedeiht unter Gewährleistung eines intakten Mikro-Ökosystems. Schatten, das fand Kaiser bei seinen Versuchen im heißen Afrika ebenso wie in Costa Rica heraus, schützt Boden und Pflanzen ungleich effektiver als Schädlingsbekämpfungsmittel (ganz egal, ob ökologische Spritzmittel oder andere).

Bäume, Hecken, aber auch künstliche Abdeckungen aus Plastik oder Bioplastik halten den Boden nährstoffreich und weitestgehend ohne Schädlingsbefall. Schädlingsbekämpfungsmittel dagegen rotten Schädlinge aus - vernichten jedoch auch nützliches Kleingetier und Mikroorganismen.

Bienen, die Blüten befruchten, fallen der Chemiekeule ebenso zum Opfer wie der niedliche Marienkäfer oder die unglaublich schöne Gottesanbeterin, die Schädlinge von den Gewächsen abhalten.

Fünftens: Das Gewächshaus ist das unverzichtbare Trainingslager für gelingende Landwirtschaft 2.0. Junge Pflanzen werden im Gewächshaus gepäppelt, so dass sie bereits eine hohe Robustheit haben, wenn sie ausgepflanzt werden.

Die Energiespritze im Gewächshaus besteht dabei aus: Kompost. Die jungen Pflanzen werden dadurch mit einem Immunturbo ausgestattet, so dass sie keine Probleme haben, sich an die wasserknappen Bedingungen auf den Feldern von Agrar 2.0 anzupassen.

Sechstens: Vorausschauende Kompostierung ist moderner Ökolandbau auf Speed. Landwirtschaft 2.0 setzt in erheblichem Maße auf den Einsatz von Dung und Kompost (ein Drittel des Komposts auf Paul Kaisers Farm stellt er selbst her, der Rest kommt von Nachbarfarmern). Das lässt die Experten sofort aufhorchen und macht speziell die Evangelisten der Ökolandwirtschaft skeptisch.

Denn hohe Mengen an Kompost, der auf den Feldern zerstreut wird, können zu hoher Nitratkonzentration im Wasser führen. Kaiser brach mit seinen Kompost-Exzessen vor zwei Jahren einen Gelehrtenstreit vom Zaun, der bislang nicht beendet ist.

Kaiser selbst hat im vergangenen Jahr jedoch den Komposteinsatz reduziert, obwohl er in seinem Wasser keine erhöhte Nitratkonzentration feststellt. Für Kaiser hat beim Thema Kompost das Klimawandel-Argument Vorrang: USA-weit lagern 200 Millionen Tonnen Kompost auf riesigen Deponien, wo er das klimaschädliche Methan und Kohlendioxid ausstößt.

In die Erde eingearbeitet, hilft er, dass der Boden Wasser besser verarbeitet und begräbt darüber hinaus im wahren Sinne des Wortes Klimagase, die ansonsten die Erderwärmung anheizen würden.

Die Konsequenzen

Welche Lehren und Konsequenzen sind aus der Landwirtschaft 2.0 zu ziehen? Sehr weitreichende: Seit 2008 leben mehr als die Hälfte der Menschen in Städten. Landwirtschaft 2.0 könnte hier eine Menge schwerwiegender Probleme lösen. Denn selbst im Umland der heißesten Metropolen Asiens und Afrikas ließen sich solche mittelständischen und robusten Landwirtschaftsbetriebe ansiedeln. Drei Argumente sind hier besonders wichtig:

Erstens: Bessere Löhne, bessere Qualifikation durch Landwirtschaft 2.0. Sie würden einer Menge Menschen vernünftige Arbeitsplätze bieten mit - im Branchenvergleich - akzeptablen Löhnen. Paul Kaiser kann seine Leute in Kalifornien überdurchschnittlich bezahlen, da er den enormen Investitionsaufwand für Bewässerung, Schädlingsbekämpfung und Maschinennutzung fast komplett einspart.

Von den Arbeitern in der Landwirtschaft 2.0 werden größere Kenntnis und das verantwortungsvolle Commitment zur Methode abverlangt, dafür setzt der Ansatz auf Vollbeschäftigung und kaum auf Saisonkräfte.

Zweitens: Abrüstung von klassischer und ökologischer Landwirtschaft. Dwayne Beck, Professor für Agrikultur an der South Dakota State University, hebt die Nachhaltigkeit von Landwirtschaft 2.0 hervor: Vor 120 Jahren war der Aufwand fossiler Brennstoffe gleich null. Momentan sind 80 Prozent der Kosten, die ein amerikanischer Farmer in seinen Betrieb steckt (Arbeit, Fuhrpark, Spritzanlagen, Bewässerung) mit der Nutzung fossiler Energien verbunden.

In 120 Jahren sollte der Aufwand wieder gleich null sein. Das ist kein antimoderner Schritt zurück zu vorgeblich besseren Stadien der Menschheitsgeschichte, sondern ein unbezweifelbarer Fortschritt, der mit der Abrüstung der bäuerlichen Maschinenparks einher gehen könnte.

Drittens: Mit Landwirtschaft 2.0 aus der Logistikkrise. Die globale Landwirtschaft würde mit Landwirtschaft 2.0 einen Beitrag zu einer ausbalancierten Agrowirtschaft leisten und außerdem enorme Logistikkosten, Mobilitätsbelastungen und Umweltschäden reduzieren helfen.

Denn die Farmen, die nach den Prinzipien von Landwirtschaft 2.0 arbeiten, funktionieren in unterschiedlichen Größen – am effektivsten jedoch als kleine mittelständische Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern. Diese Betriebe würden für die Ökosysteme der Megacities eine bessere Balance bieten und eine dezentralere Produktion und Konsumtion gestatten.

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Eike Wenzel gilt als einer der renommiertesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher und hat sich als erster deutscher Wissenschaftler mit den LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) beschäftigt. Wenzel beschreibt regelmäßig auf WiWo Green die großen Zukunfts-Herausforderungen und wie wir ihnen begegnen können



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