Bahn der Zukunft Deutsche Forscher präsentieren Regionalzug ohne Oberleitung

230 Kilometer pro Stunde schnell, leise und wenig Verschleiß – ein neuer Zug soll als Zubringer zum Schnellbahnnetz dienen.

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Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat Anfang der Woche ein Unwetter den Zugverkehr im Ruhrgebiet massiv gestört. Entwurzelte Bäume rissen zahlreiche Oberleitungen ab, auf der Strecke zwischen Düsseldorf und Duisburg ging nichts mehr. Die Aufräumarbeiten dauerten einen ganzen Tag. Doch in die Beziehung zwischen Wetter und Bahnverkehr könnte bald entspannter sein.

Denn Oberleitungen sind eigentlich ein Ding der Vergangenheit, sagen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das sich auch um die Weiterentwicklung des irdischen Verkehrs kümmert. Ihr Next Generation Train (NGT), den sie gemeinsam mit Kollegen der Universität Stuttgart entwickelt haben, fährt mit Elektromotoren. Die Kraft bezieht er allerdings berührungslos aus dem Gleisbett, wie die elektrische Zahnbürste oder der Wasserkocher.

450 Stundenkilometer schnellZwischen den Gleisen sind Spulen montiert, durch die ein Wechselstrom fließt, wenn ein Zug sie passiert. Der Strom erzeugt ein elektromagnetisches Feld, das wiederum von Spulen aufgefangen wird, die sich unter dem Fahrzeugboden befinden. Es induziert einen Wechselstrom, der von der Leistungselektronik an Bord in Drehstrom umgewandelt wird. Dieser treibt die Motoren an.

Anders als bei der ersten Generation des ICE werden alle Räder des NGT, die nicht durch eine Achse verbunden sind, von eigenen Motoren angetrieben. Eine raffinierte elektronische Regelung sorgt dafür, dass sie stets die richtige Umdrehungsgeschwindigkeit haben. In Kurven beispielsweise legen die äußeren Räder einen minimal längeren Weg zurück als die inneren, müssen also schneller drehen.

Die Regelung sorgt auch dafür, dass die Räder nicht durchdrehen, wenn die Gleise glitschig sind, und für einen ABS-Effekt: Die Räder blockieren auch dann nicht, wenn der Lokführer eine Vollbremsung macht. Die mechatronische Regelung sorgt zudem für geringere Rollgeräusche, mehr Komfort für die Reisenden und verringert den Verschleiß von Schienen und Laufflächen der Räder. Die Einzelradaufhängung haben die Wissenschaftler gewählt, um auch in der unteren der beiden Etagen des Zuges einen völlig ebenen Innenraum zu schaffen. Der Zug der Zukunft soll bis zu 460 Kilometer pro Stunde schaffen.

Erste Tests erfolgreich – allerdings bei einer TramJetzt haben die Bahnexperten den kleinen Bruder der superschnellen Bahn vorgestellt, der NGT Link (siehe Aufmacherbild). Mit Tempo 230 ist er gerade mal halb so schnell, hat aber auch eine andere Aufgabe. Er soll als Zubringer für Fahrgäste aus Regionen dienen, die nicht an das Höchstgeschwindigkeitsnetz angeschlossen sind. Ausgestattet wird dieser Zug mit einer Hybrid-Stromversorgung. Er kann die benötigte Energie sowohl aus Spulen im Gleisbett saugen als auch per Oberleitung auf Strecken, die noch nicht umgerüstet sind.

Dass die Stromübertragung während der Fahrt funktioniert, hat das DLR im kleinen Stil schon 2011 bewiesen. Einige Monate lang deckte eine Augsburger Straßenbahn auf einer Strecke von 800 Metern berührungslos ihren Energiebedarf aus Spulen in der Straße.

Die neuartige Stromversorgung ist aber nicht nur in Ländern interessant, in denen häufiger Bäume auf Oberleitungen krachen, sondern auch in Wüsten- und Küstenregionen. Dort setzen sich feinster Sand oder Salz auf die Leitungen und erschweren den Stromfluss. Folgerichtig haben Saudi-Arabien und Oman bereits Interesse an der Technik bekundet.

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