Atomkraft, ja bitte Warum einige Piraten für die Kernenergie kämpfen

Der Atomausstieg 2022 steht. Ein Teil der Piratenpartei fordert allerdings den Ausstieg vom Ausstieg. Warum nur?

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Wen soll man eigentlich wählen, wenn man die Atomkraft in Deutschland zurück haben will? Am ehesten die Piraten vielleicht. Denn in der Partei engagiert sich eine Gruppe unter dem Namen Nuklearia mit Vorträgen und einem Internetauftritt für die Kernkraft. Wir haben mit dem Nukleria-Mitglied Rainer Klute über die Gründe für seine Atomkraftbegeisterung gesprochen. Paradox: Der Informatiker - und nach eigenen Angaben "Nebenfach-Physiker" - engagiert sich seit der AKW-Havarie in Fukushima für die Kernkraft. Sein ältester Sohn lebte damals nur 90 Kilometer vom Unglücksort entfernt.

Herr Klute, Sie wollen mit einer Wiederbelebung der Atomkraft Wähler begeistern?

Nein. Das heißt, eigentlich schon, aber bis zur Bundestagswahl wird das nichts, auch nicht bis zur nächsten. Ich spreche ja auch nicht für die Piratenpartei als solche, sondern nur für die AG Nuklearia. Wir sind eine kernkraftfreundliche Arbeitsgruppe innerhalb der Piratenpartei, aber eine Minderheit. Immerhin ist meines Wissens die Piratenpartei aber die einzige Partei, bei der es überhaupt eine Pro-Kernkraft-Gruppe gibt.

Sie verstehen Ihr Projekt also langfristig?

Definitiv. Die Grünen haben 30 Jahre lang erfolgreich Meinung gemacht und Atom- und Strahlungsangst geschürt. Diese Angst steckt vielen in den Knochen, und sie lässt sich nicht per Fingerschnippen beseitigen. Die meisten Menschen wissen wenig oder gar nichts über Kernenergie und Strahlung. Nichtwissen plus grüne Desinformation ergibt Angst. Dagegen wollen wir etwas tun. Wir wollen informieren und über Kernenergie aufklären.

Hört Ihnen denn jemand zu?

Ja, Sie zum Beispiel. Wir informieren momentan vor allem im Internet, aber auch durch Vorträge. Beispielsweise habe ich letzte Woche zum Thema Atommüll bei den Piraten in Erlangen referiert. Wir wollen eine Diskussionskultur, die nicht von Angst bestimmt ist, sondern von Sachkenntnis. Je besser ich die Dinge verstehe, desto besser kann ich sie beurteilen.

Im Moment sind wir gerade dabei, die Nuklearia aus der Piratenecke zu lösen und als parteiunabhängigen Verein zu gründen. Der ist dann auch für Leute interessant, die nichts mit der Piratenpartei oder mit Politik zu tun haben. Die Resonanz unter Nichtpiraten ist sehr positiv. Nur als Grünen-Mitglied hat sich noch keiner geoutet.

An der Atomkraft, wie sie derzeit verwendet wird, finden die Deutschen aber laut Umfragen derzeit nicht viel Positives. Das ungeklärte Müllproblem und das Restrisiko stehen dem entgegen.

30 Jahre grüne Desinformation bleiben nicht ohne Einfluss auf Umfrageergebnisse. Dennoch sprachen sich im ARD-Deutschlandtrend vom Juni 2012 (Bild 21/25) über die Hälfte der Befragten dafür aus, den Atomausstieg zu verschieben, damit die Strompreise nicht so stark steigen. Ein Ergebnis, das die ARD zwar brav auf ihrer Website veröffentlichte, aber sonst verschwieg. Heute wäre das Ergebnis noch deutlicher.

Zweitens ist die »Kernkraft, wie sie derzeit verwendet wird«, nicht die einzige Art von Kernkraft. Es gibt eine Fülle fortschrittlicher Kernenergiekonzepte, bei denen praktisch alles anders ist. Der Dual-Fluid-Reaktor (DFR) vom Institut für Festkörper-Kernphysik in Berlin beispielsweise produziert neben billigem Strom auch Kraftstoff.

Das Müllproblem löst er, indem er den Atommüll aus herkömmlichen Leichtwasserreaktoren als Brennstoff nutzt. Was dann noch übrigbleibt, ist nach 300 Jahren abgeklungen. Damit wird auch die Suche nach einem Endlager »für die Ewigkeit« überflüssig. Die Kühlung des Reaktors erfolgt mit Blei statt mit Wasser.

Der Dual-Fluid-Reaktor ist kein Einzelfall. Weltweit werden neue Reaktorkonzepte entwickelt, die Atommüll als Brennstoff verwenden können. Reaktoren, die das Grundprinzip des Atommüll-Recyclings umsetzen, sind bereits in Betrieb. In Russland und Indien gehen 2014 zwei weitere ans Netz. In Deutschland wird nicht einmal darüber geredet. Unverantwortlich finde ich, dass das vom Bundesumweltministerium erstellte Unterrichtsmaterial die Endlagerung als einzige Lösung für das Atommüllproblem nennt und die beiden anderen verschweigt! Das ist bewusste Irreführung der Schüler.

Aber sicher fühlen sich viele Menschen mit der Kernkraft dennoch nicht.

Stimmt, aber entgegen des Bauchgefühls ist die »Atomkraft, wie sie derzeit verwendet wird«, eine ziemlich sichere Angelegenheit. Schaut man auf die Zahlen, stellt sich heraus: Die heutige Kernenergie ist sogar sicherer als sämtliche anderen Energieformen! Kohle fordert 100 Tote pro produzierter Terawattstunde Elektrizität, Kernenergie nur 0,04. Durch Photovoltaik kommen 11 mal mehr Menschen ums Leben als durch Kernkraft – vor allem durch Stürze von Dächern und durch Stromschläge. Bei Wind sind es 3,75 mal soviele.

Aber das Restrisiko und die Müllproblematik ist doch nicht wegzudiskutieren.

Eine völlig risikofreie Energieversorgung gibt es nicht, weder durch Kernenergie und erst recht nicht durch die Alternativen. Allerdings fordert man nur vom Sicherheitsspitzenreiter Kernenergie ein Nullrisiko! Oder hat schon jemand den Solarausstieg verlangt, weil Leute beim Installieren oder Reinigen der Paneele vom Dach gestürzt sind?

Zur Müllproblematik: Abfall fällt bei jeder Energieart an. Ein Kohlekraftwerk gibt drei- bis zehnmal mehr Radioaktivität an die Umwelt ab als ein Kernkraftwerk, von Feinstäuben, Quecksilber oder CO2 ganz zu schweigen. Windkraftanlagen brauchen Seltene Erden, die vor allem aus China kommen und bei deren Abbau eine Menge chemischer und auch radioaktiver Abfälle entstehen. Die liegen dann irgendwo herum. Nirgendwo sonst sind Abfälle so streng und umfassend kontrolliert, reglementiert und von der Umwelt abgeschottet wie bei der Kernenergie. Und gerade die hochaktiven, langlebigen Abfälle können wir entschärfen.

Das mag ja alles sein - wenn es aber einen ernstzunehmenden Unfall in einem AKW in einem süddeutschen Ballungsraum gibt, wären zehntausende Menschen betroffen.

Die Folgen schwerer Reaktorschäden und von Wasserstoffexplosionen haben wir in Fukushima gesehen: Keine Toten und sehr wahrscheinlich auch keine Krebsfälle durch die Strahlung. Und auch, wenn Antiatomaktivisten gern das Gegenteil behaupten: Fukushima ist eben nicht überall. Die Tsunamigefahr ist in Nord- wie in Süddeutschland eher gering. Dafür haben deutsche Kernkraftwerke im Unterschied zu japanischen sogenannte passive Wasserstoffrekombinatoren, um Wasserstoffansammlungen und -explosionen zu verhindern. Außerdem haben wir im Unterschied zu Japan eine Sicherheitskultur, die diesen Namen verdient.

Bei künftigen Reaktortypen sieht es noch sehr viel besser aus, weil diese nicht mit einem Überdruck von 70 oder 150 Atmosphären arbeiten, sondern dank Flüssigmetallkühlung nur bei Normaldruck. Wenn da etwas passiert, beispielsweise ein Riss in einer Kühlmittelleitung, läuft das Metall mehr oder weniger langsam heraus, kühlt ab und verschließt idealerweise den Riss. Die Auswirkungen erfolgen sehr viel langsamer, sind weit weniger ausgeprägt und bleiben auf die Anlage beschränkt. Diese Reaktoren werden außerdem unterirdisch gebaut, was den Schaden bei Flugzeugabstürzen begrenzt.

Aber erste Arbeiter sind in Fukushima tatsächlich schon gestorben. Was außerdem klar ist: Die ganze Sache ist noch ziemlich glimpflich ausgegangen.

Nein, es sind keine Arbeiter gestorben, jedenfalls nicht durch Strahlung oder andere kernkraftspezifische Umstände. Zwei Mitarbeiter in Fukushima-Daiichi wurden in einem Kellergeschoss vom Tsunami überrascht und ertranken, andere sind durch Herzanfall oder Hitzschlag verstorben. Durch Strahlung ist aber niemand umgekommen. Einzelne Arbeiter haben Strahlendosen zwischen 100 und 200 Millisievert (mSv) erhalten, und manche halten diese Männer nun für Todgeweihte.

Wahr ist: Sie tragen ein rund fünf Prozent höheres Krebsrisiko. Unterhalb von 100 mSv ist kein Zusammenhang zwischen Radioaktivität und Krebs feststellbar. Die Bevölkerung von Fukushima liegt deutlich unter diesem Wert, ist also eigentlich im grünen Bereich. Doch nicht alle Betroffene wissen das oder glauben das. Daher ist der Anteil psychischer Erkrankungen in Fukushima hoch.

Atomkraftgegner nennen an dieser Stelle gern die möglichen Langzeitschäden. Doch Tschernobyl ist nun schon 27 Jahre her. Über eine Million Tote hatte Greenpeace damals prognostiziert. Wo sind die denn? Eine Million Menschen stirbt laut WHO nicht durch Kernenergie, sondern durch Kohlekraft und zwar Jahr für Jahr. Wenn es eine Energieform gibt, die abgeschafft gehört, dann ist es Kohle, gefolgt von Öl und Gas!

Aber wenn wir einen richtig ernsten Zwischenfall mit einem AKW haben, dann ist der Schaden so hoch, dass alle Pro-Argumente für die Kernkraft mit einem Mal nichtig sind. Selbst wenn es nur ein kleines Risiko für solch einen Unfall gibt – es besteht eben.

Nein, zwangsläufig ist ein sehr hoher Schaden keineswegs. Risiko ist definiert als Produkt von Schadenswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Und ob die Vorteilsrechnung dahin ist, hängt nur von der Schadenshöhe ab.

Der wirtschaftliche Schaden in Fukushima zum Beispiel ist exorbitant hoch: Verlust der Reaktoren, Kosten der Aufräumarbeiten, Kosten des Rückbaus, Schadenersatzzahlungen an die Bevölkerung, Kosten für Entmottung und Errichtung von Kohle- und Gaskraftwerken, Kosten für teure fossile Brennstoffe.

Die Schäden an Mensch und Umwelt durch Fukushima liegen aber eher im unteren Bereich. Kein Vergleich etwa mit der Explosion des mit Öl beladenen Güterzuges im kanadischen Lac-Mégantic, die im Juli das Stadtzentrum in Schutt und Asche legte und 50 Menschen das Leben kostete!

Moderne Reaktoren der Generation III und erst recht der kommenden Generation IV reduzieren die maximale Schadenshöhe erheblich. Bedingt durch die Bauweise beschränkt sich der Schaden auf die Anlage selbst.

Und was, wenn tatsächlich mal ein Flugzeug in Deutschland in ein AKW fliegt?

Gegenfrage: Was passiert, wenn ein Flugzeug in einen Staudamm fliegt? Oder in eine Ölraffinerie? Oder in ein vollbesetztes Fußballstadion? Für Terroristen, die möglichst viele Menschen töten wollen, gibt es bessere Ziele als Kernkraftwerke. Wenn es den Terroristen aber nicht um hohe Opferzahlen geht, sondern um möglichst viel Angst und Schrecken in der Bevölkerung – besonders in der deutschen –, dann wäre ein Angriff auf ein Kernkraftwerk gar nicht so schlecht.

Aber die von Ihnen angesprochenen neuen Reaktorkonzepte brauchen, wenn Sie denn je funktionieren sollten, noch Jahrzehnte bis zur Marktreife. Wir fahren doch gerade mit Wind und Solar ganz gut – was ist dagegen zu sagen?

Das Advanced Recycling Center mit sechs S-PRISM-Reaktoren und integrierter Wiederaufarbeitungsanlage können Sie sofort beim Unternehmen GE Hitachi Nuclear ordern. Großbritannien will noch in diesem Jahr über eine kleine Variante für die Plutonium-Entsorgung entscheiden. Andere Konzepte brauchen noch länger bis zur Marktreife, das ist richtig.

Umso wichtiger, nicht zu trödeln, sondern die Dinge voranzutreiben! Es ist eine Schande, dass Deutschland den Dual-Fluid-Reaktor nicht fördert, sondern die Forscher sich selbst überlässt! Wir hätten hier die Chance, auf dem internationalen Markt zu punkten.

Skepsis sollte man viel mehr der Energiewende entgegenbringen. Wind und Solar sind ja ganz brauchbar, aber nur als Ergänzung im Stromnetz, nicht als sein Fundament. Denn sie liefern ja nicht zuverlässig. Wir brauchen also konventionelle Kraftwerke, die einspringen, wenn die Leistung von Wind und Solar nicht ausreicht.

Schließlich sollten wir nicht nur auf Deutschland schauen, sondern eine globale Sicht einnehmen. Über eine Milliarde Menschen haben überhaupt keine Strom, andere nur zeitweise. Diese Staaten haben nicht den Luxus, zwischen verschiedenen Stromerzeugungsarten auszuwählen. Sie haben auch nicht das Geld für eine Energiewende. Sie brauchen eine möglichst billige Energiequelle. Heute bedeutet das Kohlekraftwerke – mit all ihren Folgen.

Wir brauchen eine klimafreundliche, umweltfreundliche und vor allem wirtschaftliche Alternative. Moderne Reaktorkonzepte versprechen genau dies.

Sie plädieren also für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Deutschland? Einen nochmaligen Ausstieg aus dem Ausstieg?

Ja. Es geht nicht gegen Wind und Solar, sondern gegen Kohle. Kohlekraftwerke müssen weg. Daher sollten wir die bestehenden Kernkraftwerke weiterbetreiben und den Neubau moderner, inhärent sicherer Anlagen ermöglichen. Die unendliche und unendlich aussichtslose Suche nach einem Endlager sollten wir gar nicht erst anfangen, sondern uns lieber auf die Nutzung und Vernichtung des Atommülls konzentrieren.

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