Anthropozän "Die Erde steht vor dem nächsten großen Artensterben"

Forscher rufen das Erdzeitalter des Menschen aus: das Anthropozän. Leider sind wir nicht gerade positiv aufgefallen ...

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Vorausgesetzt, es gibt den Menschen und die Erde in ein paar Millionen Jahren noch – was werden Geologen finden, wenn sie nach Spuren der heutigen Zeit suchen? Neben versteinerten Fossilien wundersamer Lebewesen wie überzüchteten Kleinhunden mit Atemproblemen wahrscheinlich jede Menge Spuren unserer Zivilisation: für die Landwirtschaft umgegrabene Landschaften, abgeholtze Wälder, Zeichen der aktuellen Versauerung der Ozeane, Hinweise auf einen rapiden Klimawandel.

Nicht mehr die Natur, sondern der Mensch wird sich diesen Geologen als wichtigster Einflussfaktor für das Leben auf der Erde zeigen.

Das jedenfalls glauben immer mehr Wissenschaftler, die unsere Epoche als Anthropozän, das Erdzeitalter des Menschen bezeichnen. Begründer dieser Theorie ist der niederländische Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen. Das Anthropozän beendete nach seiner Meinung das Holozän, eine warme, sehr stabile Klimaphase, die etwa 12.000 Jahren anhielt.

Ganz neu ist das Gedankenkonzept eines „Menschen-Zeitalters“ nicht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts warnten Geologen in Italien und Russland vor immer stärkeren Auswirkungen des Menschen auf den Planeten.

Mensch rottete Riesentiere ausDoch inzwischen sind die Auswirkungen längst nicht mehr zu verleugnen. Die Weltbevölkerung wuchs in den letzten Jahrhunderten auf mehr als sieben Milliarden Menschen an und breitet sich immer mehr aus. Kaum mehr als 20 Prozent der eisfreien Oberfläche der Erde sind noch in einem natürlichen Zustand.

Durch die massive Nutzung von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas seit der Industriellen Revolution im späten 18. Jahrhundert und intensive Landwirtschaft und Rodung der Wälder stieg der Anteil der Treibhausgase in der Erdatmosphäre stark an.

Die Folgen sind bekannt: Die Erde wird wärmer, der Klimawandel schreitet voran und die Ozeane versauern – ihr Ökosystem könnte sich dadurch drastisch verändern. Das Problem ist nicht so sehr der Klimawandel selbst, den es immer gegeben hat und an den sich die Arten meist anpassen konnten, sondern seine Geschwindigkeit.

Für die Ökosysteme unserer Erde hat das Anthropozän jetzt schon schwere Folgen, wie aktuelle Studien zeigen

Seit der Mensch die Erde bevölkert, hat sich das Artensterben dramatisch beschleunigt. Zu dieser Erkenntnis kommt eine im Mai veröffentlichte Studie der Duke University in den USA. Vor dem Eroberungszug des Menschen starb etwa 0,1 bis 1 von einer Million Arten pro Jahr aus. Heute seien es zwischen 100 bis 1000 Tiere und Pflanzen, berichten die Forscher um Stuart Pimm im Wissenschaftsjournal „Science“.

„Damit stehen wir am Rande des sechsten großen Massenaussterbens“, warnen die Wissenschaftler. Ein Hauptgrund für das Artensterben: Mit der Ausbreitung der Menschen über die Erde ging natürlicher Lebensraum der Tiere und Pflanzen verloren. Nun kommen die Folgen des sich in der Atmosphäre ansammelnden Treibhausgases CO2 hinzu.

Die Rote Liste, ein Dokument des ArtensterbensAuch die gerade veröffentliche Rote Liste für gefährdete Arten ist ein trauriges Zeugnis für den Umgang des Menschen mit der Erde.  Sie enthält derzeit 73.686 wissenschaftlich untersuchte Arten, von denen 22.103 in ihrem Bestand akut bedroht sind.

„Der Mensch verursacht gerade das größte Massenaussterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier vor etwa 70 Millionen Jahren. Viele Arten leben in immer kleiner werdenden Gebieten und sind dadurch stark gefährdet“, sagt WWF-Artenschutzexperte Arnulf Köhncke. Seit 50 Jahren wird die Liste inzwischen gepflegt und regelmäßig aktualisiert.

Neben Stammgästen wie Tiger, Hai oder Eisbär kommen immer neue Arten hinzu. So sind inzwischen über 90 Prozent aller Lemurenarten stark vom Aussterben bedroht. Ähnlich sieht es auch bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen aus. Die Bonobos, also jene Affen-Vertreter, die dem Homo Sapiens mit am nächsten stehen, gelten als "stark gefährdet", die Westlichen Flachlandgorillas gar als "vom Aussterben bedroht".

Neu beurteilt wurde außerdem eine Delikatesse: der Japanische Aal gilt jetzt als "stark Gefährdet" und sollte damit nicht mehr auf dem Teller landen.

Aussterben durch Menschenhand ist nichts NeuesEin aktuelles Phänomen ist das Artensterben durch Menschenhand keinesfalls, wie eine aktuelle Studie zum Aussterben vieler Großsäuger zeigt. Auch ihr Verschwinden in den vergangenen 130.000 Jahren geht auf das Konto der Menschen. Das berichten dänische Forscher um Christopher Sandom in den „Proceedings B“ der britischen Royal Society.

Durch zahlreiche Fossilienfunde ist bekannt, dass während der letzten 130.000 Jahren die meisten großen Säugetiere auf der Erde verschwanden. Seit Jahren streiten Forscher über die Ursachen.

Die einen sehen Klimaveränderungen als Hauptgrund, andere eher die Ausbreitung der Menschen. In ihrer aktuellen Studie verglichen die Forscher die Lebensräume der ausgestorbenen Säugetiere ab einem Gewicht von zehn Kilogramm mit den Klimaveränderungen in den einzelnen Gebieten. Als Zeitraum wählten sie die Phase 132.000 bis vor 1000 Jahren.

Das Ergebnis: In Südamerika, Neuseeland und Australien verschwanden besonders viele große Arten. Vertreter der sogannten Megafauna wie das Riesenfaultier, der zwei Meter große Donnervogel oder ein Riesenwaran namens Megalania starben kurz nach dem Erscheinen der Menschen aus. Das spricht eher gegen den Klimawandel als Ursache.

„Unsere Analyse zeigt, dass die Kolonisierung neuer Gebiete durch den modernen Menschen häufig zum Aussterben führt“, so das Urteil der Forscher. Eine Ausnahme ist Afrika, die Wiege der Menschheit, wo Menschen und Großtiere bis heute nebeneinander leben.

Auch vor der Geschichte der Menschheit gab es bereits vergleichbare Massensterben. Gleich fünf Mal wurde in der Vergangenheit ein Großteil des irdischen Lebens auslöscht.

Unter anderem starben die Dinosaurier aus, insgesamt verschwanden mit ihnen 75 Prozent aller Arten. Vor 252 Millionen Jahren waren es sogar 90 Prozent aller Arten - beim sogannanten Perm-Trias-Ereignis. Schuld in beiden Fällen waren wohl Meteoriten-Einschläge und keine anderen Arten.

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